Dies Domini – 12. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Selten verbreiteten sich Gerüchte schneller als in diesen Tagen. Was früher von Mund zu Ohr und von Mund zu Ohr geflüstert würde, das zwitschern heute die digitalen Spatzen aus dem virtuellen Äther in die Welt. Und wie es sich für ein Gerücht gehört, reicht es, dass es den Geruch des Möglichen verbreitet. Und dieser Geruch ist hartnäckig, denn das Mögliche ist beständiger als das Wahre. Wahr ist immer nur eine Möglichkeit, möglich aber ist vieles. Die Wahrheit zu finden, ist mühsam. Die Wahrheit ist scheu. Wer die Wahrheit sucht, muss Licht ins Dunkel bringen. Wahrheit braucht Aufklärung und Erkenntnis. Das Gerücht hingegen entlastet von den Anstrengungen der Wahrheitssuche, denn was viele gehört haben, muss doch irgendwie auch wahr sein. Der und die haben es doch auch schon gehört. Und so haftet der Geruch der Gerüchte lange in den Kleidern; gegen ihre Ausdünstungen, die schwer in der Welt liegen, kann sich der leichte und lichte Duft der Wahrheit nur schwer durchsetzen.
Gleichwohl lebt auch das Gerücht von der Lust der Wahrheitsfindung. Es verbreitet sich ja gerade aufgrund der Illusion, man würde etwas Wahres, was nur wenigen zugänglich ist, meist unter dem Siegel der Verschwiegenheit erfahren. Und weil man vor Stolz in den Kreis einiger weniger Eingeweihter zu gehören platzen könnte, muss man sich natürlich mitteilen. Der Stolz der so Illuminierten lebt ja davon, dass sie vor der Welt leuchten wollen. Die eigene Eitelkeit überstrahlt dabei die Frage, ob an einem Gerücht überhaupt etwas dran ist. Denn die Aufdeckung, dass an einem Gerücht nichts dran ist, würde doch bedeuten, dass man einer Illusion aufgesessen sei. Der Illuminierte würde sich als kleines Licht offenbaren, die Einweihung als Betrug. Zu einer solchen Selbsterkenntnis sind wohl nur wenige fähig. Und so weicht die scheue Wahrheit allzu oft der Lust an einer selbstreferentiellen Relevanz.
Das Phänomen ist ein allgemein menschliches. Aber gerade deshalb macht es auch vor den Gliedern der Kirche nicht halt. Man konnte es in den letzten Tagen wieder beobachten. Der Kölner Stadtanzeiger veröffentlichte am 19. Juni 2014 den Beitrag „Wunschliste mit Bitte um Beachtung“. Darin geht es um die Kandidatenliste, die das Kölner Domkapitel mit Blick auf die anstehende Wahl des neuen Kölner Erzbischofs nach Rom geschickt hat. Natürlich weiß der Kölner Stadtanzeiger dem Hörensagen nach, welche Namen auf der Liste stehen sollen. Man habe das aus den berühmten „hochrangigen Kirchenkreisen“ erfahren.
Die Frage, wer sich hinter diesen „hochrangigen Kirchenkreisen“ verbirgt, ist eigentlich schnell geklärt. Eigentlich kann es nur das Domkapitel selbst sein, denn es ist zum Schweigen über die eigenen Beratungen verpflichtet. Außerhalb dieses hochrangigen Kirchenkreises weiß eigentlich niemand, welche Namen auf der Liste stehen. Und genau das ist das Problem: Entweder hat jemand aus dem Domkapitel selbst geredet – das wäre ein eklatanter, eigentlich unvorstellbarer Vertrauensbruch Außerdem ist das Domkapitel ja nur ein hochrangiger Kirchenkreis. Der Kölner Stadtanzeiger spricht aber im Plural von Kirchenkreisen. Oder aber, jemand aus der Nähe des Domkapitels, wollte endlich einmal wichtig sein – das ist sicher denkbar, wirft aber ein zweifelhaftes Licht auf solche Persönlichkeiten, wenn es sie denn gibt. Oder jemand hat Stimmen gehört und weiter erzählt. Die willfährige Presse, deren wirtschaftliches Überleben an Auflagenzahlen hängt, was bisweilen das Ideal eines investigativen Journalismus in den Hintergrund treten lässt, liebt solche Gerüchte. „Hochrangige Kirchenkreise“ sind immer gut, denn auch nach den großen Krisen der letzten Jahre scheint es doch noch eine Grundglaubwürdigkeit zu geben, die man diesen Kreisen, die man sonst auch gerne einmal vor das Scherbengericht der medialen Öffentlichkeit zerrt, zugesteht.
Wie auch immer das Gerücht in die Welt kam – es wurde, bevor man es druckte, hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Geflüstert, gewispert, getuschelt kam es irgendwie an das Ohr des Redakteurs, der natürlich mit Verweis auf die Quelle nicht mehr nachfragen musste – Insiderwissen halt. Und so konnte er nicht anders als seiner Chronistenpflicht zu genügen.
Die Chronistenpflicht ist die am meisten bemühte Pflicht von Journalisten. Sie hatten Wissen erlangt und sind es der Öffentlichkeit schuldig darüber zu berichten. Dass Chronisten nur Tatsachen berichten sollten, wird dabei gelinde übergangen. Der Leser hingegen verlässt sich auf den Chronisten. Und so verbreitete sich die Nachricht von der angeblichen Namensliste rasant über die sozialen Netzwerke. Auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kirche sowie Katholikinnen und Katholiken hatten wohl den Eindruck, etwas geradezu Sensationelles erfahren zu haben. Und so wurde der Mangel, dass das, was doch schon in der Welt war, aber offenkundig noch nicht von allen gesagt wurde, schnell behoben. Allein die Frage der Fragen, ob die „hochrangigen Kirchenkreise“ wirklich existieren, wurde immer noch nicht beantwortet.
Es ist manchmal erschreckend, wie sehr die Leseordnung der katholischen Kirche die Ereignisse der Weltenläufte voraussieht. So eröffnet die erste Lesung des 12. Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres A mit den Worten:
Ich hörte das Flüstern der Vielen. (Jeremia 20,10)
führt dann fort:
Grauen ringsum! Zeit ihn an! Wir wollen ihn anzeigen. Meine nächsten Bekannten warten alle darauf, dass ich stürze. Vielleicht lässt er sich betören, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen. (ebd.)
Der Prophet kennt das wahre Gesicht des Gerüchts. Gerade weil es das Licht der Wahrheit scheut, wird es nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Und gerade deshalb ist es zerstörerisch. Das Gerücht verbreitet keinen Duft; es stinkt. Das Gerücht will nichts Gutes. Das Gerücht liebt die Dunkelheit. Es verdunkelt, wo Erhellung notwendig wäre.
Wie anders sollten gerade die Jüngerinnen und Jünger Jesu vorgehen. So heißt es im Evangelium vom 12. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A:
Fürchtet euch nicht vor den Menschen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. (Matthäus 10,26)
Das allein könnte noch auf ein Gerücht zutreffen, wäre da nicht der unmittelbar folgende Auftrag Jesu:
Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. (Matthäus 10,27)
Es geziemt sich nicht für die Jüngerinnen und Jünger Jesu, zu tuscheln, zu wispern und zu flüstern. Ihr Gestus ist die öffentliche Verkündigung. Das Gerücht ist keine Sache derer, die Jesus nachfolgen; ihre Sache ist die offene und öffentliche Verkündigung, die Aufdeckung, die Aufklärung. Am offenen Wort kann man sie erkennen, nicht an der sensationsüsternen und aufmerksamkeitsgeilen Gerüchtemacherei.
Aber der Hinweis Jesu wirft noch ein Licht auf den Zustand der Kirche in dieser Zeit. Was zu verkünden ist, ist das, was er sagt. Er selbst ist die Botschaft, die furchtlos zu bekennen ist:
Wer sich nun vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem werde auch ich mich vor meinem Vater im Himmel bekennen. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen. (Matthäus 10,32f)
So wie die Ausdünstungen eines Gerüchtes den Blick auf die Wahrheit verschleiern und den Verstand vernebeln, so verstellen alle die, die sich an den gegenwärtigen Bischofs-Bingos in den deutschen Bistümern beteiligen, den Blick für das Wesentliche. Das Haupt der Kirche ist Christus allein. Ihn gilt es zu verkünden. Bischöfe sind ganz sicher nicht unwichtig, das Wesen der Kirche aber sind sie nicht. Der Leib Christi gerät aus dem Blick, wenn man nur auf die einzelnen wenigen Bischofsglieder schaut. Sie allein halten den Leib Christi nicht lebendig!
Die Diskussion um Bischofswahlen sind lustvoll. Jetzt schon ist absehbar, dass es viel zu diskutieren geben wird. Allein: deswegen wird das Evangelium noch nicht in der Welt verkündet. Und so stellen allzu viele den Bischof in eine Mitte, die doch allein dem lebendigen Wort Gottes gehört. Bei allem Respekt: das ist auch für einen Bischof zu viel der Ehre!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Tja, wenn man die Gerüchte um die Bischofswahl in Freiburg betrachtet, dann würde meine Kritik eher die Kirche selbst als die bösen Medien treffen. Das stinkige Dunkel um die Geheimhaltung der Vorschlagslisten dient doch nur dem Klüngel hinter den Kulissen. Die Deppen vom Domkapitel werden in die Schweigepflicht genommen, während im Hintergrund ganz andere Figuren die Fäden ziehen (gerüchteweise gehört 😉 Das ganze System dient gerade nicht der duftenden, leichten Wahrheit! Vielmehr ist es ein beschämendes System, das auch einen Meisner nach Köln brachte. Ihre Kritik geht in eine völlig falsche Richtung! Warum lässt man die Ortsgemeinde nicht nach biblischem Vorbild in einem transparenten Verfahren ihren Bischof bestimmen?
Lieber Heinz E.,
das Problem ist, dass das NT eine solche einseitige Wahl gerade eben nicht kennt. Es gab immer auch die Bestätigung „von oben“, durch Handauflegung und Gebete, erteilt durch einen Apostel oder einem von diesen Beautragten. Deshalb hilft es nichts, immer wieder auf eine angebliche biblische Praxis zu verweisen, die es so nicht gibt.
Das Problem an Freiburg ist eben auch, dass es nur Gerüchte gibt. Mehr nicht. Eigentlich weiß man gar nichts. Auch ein Domkapitel wird sich nicht äußern – und das ist prinzipiell nicht schlecht, weil sonst von vorneherein wieder die Zertrennung herrscht.
Um hier wirklich urteilen zu können, müsste man ja erst einmal wissen, wer den auf der Freiburger Liste gestanden hat (weiß man eben nicht); vielleicht (möglich und denkbar ist es jedenfalls) ist die römische Terna besser (vielleicht auch nicht). Wir wissen es nicht, weil wir nicht wissen, welche Namen auf dieser Liste standen – außer dem des letztendlich Gewählten.
Sie merken: Das führt doch alles nicht weiter!
Ich stimme Ihnen zu (und das habe ich hier wiederholt getan), dass ich eine Bestätigung eines Bischofs durch das Volk gerade aufgrund des biblischen Vorbildes für wichtig erachten würde. Aber welche Mehrheiten wären hier angezeigt? Soll es dann einen Wahlkampf geben? Wird ein so Gewählter, der vielleicht nur einen hauchdünnen Vorsprung hat, nicht von vorneherein in seiner Aufgabe, für die Einheit zu sorgen, beschädigt? – Aus den genannten Gründen wird übrigens auch der Bundespräsident ja nicht vom Volk, sondern von der Bundesversammlung gewählt.
Sie merken: Das Thema ist hochkomplex. Viel zu komplex, als dass man es mit einfach scheinenden Lösungen behandeln könnte.
Im Übrigen müsste man dazu auch noch die Konkordate ändern, die übrigens eine Beteiligung des Volkes in Form der Ministerpräsidentin bzw. des Ministerpräsidenten vorsehen (zumindest in NRW und Rheinland-Pfalz – hier müssen für das Erzbistum Köln beide Ministerpräsidentinnen der Wahl zustimmen).
Aber noch einmal: worüber wird hier gesprochen? Über etwas, das man nicht wissen kann! Wer sich an einer solchen Zeitverschwendung ergötzen kann, mag das tun. Ich aber bleibe dabei: das nimmt uns die Energie für das, was eigentlich zu tun ist – die Verkündigung. Bischöfe sind nicht so wichtig wie Sie denken! Und Limburg hat doch gezeigt, das Korrekturen möglich sind. Übrigens nicht zum ersten Mal. In Augsburg haben wir es doch auch schon erlebt.
Kann man aber die frohe Botschaft wirklich verkünden, wenn man überalle nur Verschwörung wittert? Ich meine, dass man den Blick auf das Wesentliche lenken sollte. Was das ist, dazu habe ich mich geäußert. Wenn Sie anderer Meinung sind, soll es so sein. Ob Sie das weiterbringt, halte ich für fraglich.
Ja, aber wer waren denn die Apostel? Nach Paulus eben nicht nur die 12. Und die Pastoralbriefe zeigen, dass es schon objektive Kriterien für die Auswahl gab. Das heutige Verfahren ist doch meilenweit von den damaligen Verfahren entfernt! Die Apostel haben Gemeinden gegründet, die waren demnach vor Ort und es wurde nicht aus Jerusalem oder Antiochia entschieden, wer in Korinth Gemeindeleiter wurde. Auch Kardinal Lehmann hat das heutige Verfahren vor kurzem kritisiert. Wie soll denn Verkündigung funktionieren, wenn der Fisch vom Kopf her stinkt? Dass das nicht funktioniert hat Limburg, Augsburg etc. doch nun wirklich anhand der Austrittszahlen bewiesen!!!
Dass das heutige Verfahren zu kritisieren ist, ist zwischen uns wohl unstrittig. Darauf habe ich ja schon verwiesen. Und doch können Sie nicht einfach das ntl. Modell übertragen. Die Gemeinde von Korinth wird auf etwa 250 Mitglieder geschätzt. Da können Sie durchaus eine Urfrage durchführen; bei über 2 Mio. Katholiken im Erzbistum Köln ist das nicht mehr möglich. Man muss also wohl die Rahmenbedingungen achten.
Und: Nein! Eine Wahl wird auch in Korinth nicht an Paulus als Gemeindegründer vorbei gegangen sein, der von den Aposteln zur Heidenmission bestellt wurde, wie sich aus dem Galaterbrief ergibt. Sie dürfen hier übrigens nicht den Aposteltitel, der auch damals nicht geschützt war, mit der exklusiven Autorität der 12 verwechseln, die auch für Paulus außer Frage stand (vgl. Gal 2). Auch das ist ein Fehler, der gerne gemacht wird. Apostel war damals kein Amtstitel, sondern allgemein eine Bezeichnung für Verkünder, weshalb eben auch Maria von Magdala und die immer wieder zitierte Junia ohne Weiteres als Apostel bezeichnet werden konnten. Mehr nicht. Die 12 hingegen waren der von Jesus selbst auserwählte Kreis. Man darf nicht die heute üblichen Bezeichnungen unkritisch auf damals übertragen. Hier muss man sehr sauber arbeiten, wenn man wirklich weiter kommen will. Es hilft nichts, die immer wieder gleichen Plattitüden, die längst geklärt oder widerlegt sind, zu bemühen. Die Forschung ist da weiter.
Im Übrigen sind Limburg und Augsburg sehr gute Beispiele dafür, dass eine Einsetzung von oben eben nicht mehr funktioniert. Am Volk Gottes gibt es keinen Weg vorbei. Das sind die Lehren aus Limburg und Augsburg, weshalb ich gerade der Ansicht bin, dass der Hl. Geist dort gewirkt hat – eben durch das Volk!
Wir befinden uns in einer Umbruchzeit. Die Lage verändert sich. Trotzdem darf man nicht so naiv sein und ein vermeintlich ntl. Modell propagieren, dass es selbst damals so nicht gegeben hat. Es gabe immer – auch damals – die Vermittlung zwischen Gemeindebasis und (apostol.) Gemeindeleitung. Das grundcharismatische Modell, das heute so oft betont wird, hat es selbst in den pln. Gemeinden so nie gegeben.
Trotzdem – und hier stimme ich Ihnen unumwunden zu: Es fehlt die offizielle Berücksichtigung des Volkes Gottes in der jeweiligen Ortskirche. Die muss gegeben sein. Es ist doch offenkundig: Gegen das Volk kann man keinen Bischof mehr einsetzen! Limburg und Augsburg sind ein eindeutiges Menetekel, dass das Volk nicht übergangen werden darf. Der Geist wirkt – vor allem in seinem Volk!
Nun, historisch präzise zu arbeiten, das halte auch ich für sehr wichtig. Dann aber würde ich Gal 2 ganz anders auslegen. Paulus ist Apostel für die Völker, Petrus für die Juden. Der sehr mächtige Jakobus ist gar keiner der 12, scheinbar aber mit apostolischer Autorität ausgestattet, er wird als Säule der Urgemeinde bezeichnet. Natürlich gibt es einen amtlichen Apostelbegriff neben dem allgemeinen Gesandten. Paulus definiert einen Apostel als jemanden, dem der Auferstandene erschienen ist, um ihn zur Mission zu berufen. In Gal 1 wird das Amt, das durch Christus und nicht durch Menschen verliehen wird, sehr greifbar. Die 12 (Stämme)funktionieren nur in einem jüdischen Kontext, sind geradezu an den irdischen Jesus und seine Reich-Gottes-Botschaft gebunden. Nach Ostern werden sie nur noch von Lukas idealisiert dargestellt. Wenn man nun ganz sauber arbeitet, kommt man bei Junia kaum noch an einer Amtsbezeichnung vorbei 😉
Na ja, lieber Heinz E., da ist sehr viel Willkür im Spiel. Natürlich ist Jakobus einer der Zwölf. Er gehört sogar zum engeren Führungsgremium, das aus Jakobus, Johannes und Petrus besteht. Wahrscheinlich war er zu Lebzeiten sogar der eigentliche Leiter dieses Führungsgremiums, wie man aus Gal 2 schließen kann. Erst nach seinem frühen Tod, der in der Apg bezeugt ist, rückt Petrus gewissermaßen nach.
Sie haben Recht: Die 12 Stämme funktionieren nur im jüdischen Kontext – und anders hat sich das frühe Christentum auch nicht verstanden. Es ging nie um die Gründung einer Kirche neben dem Judentum. Deshalb ist es auch absurd, eine Trennung zwischen Petrus und Paulus zu insinuieren, dass da zwei völlig unterschiedliche Weg beschritten worden wären. Es ging bei der Heidenmission um die Erfüllung der jesajanischen Vision der Völkerwallfahrt am Ende der Zeiten zum Zion. Diesen Auftrag hatte Paulus – übrigens in enger Rückbindung an Jerusalem, wie die von dort beauftragte Kollekte zeigt, die Paulus intensiv verfolgt hat (vgl. 2 Kor 8f).
Gal 1 können Sie amtstheologisch überhaupt nicht verwerten, weil ein „Amt“, wie wir es heute verstehen, damals gar nicht im Blick war. In Gal 1 leitet Paulus lediglich ab, dass er aufgrund einer persönlichen Begegnung mit dem Auferstandenen einen dem 12er-Kreis gleichwertigen Anspruch erhebt. Das trifft auf Junia sicher nicht zu. (im Übrigen weigert Lukas sich, Paulus als Apostel zu bezeichnen. Daraus können Sie sehen, dass im ausgehenden ersten Jahrhundert bereits erste institutionelle Entwicklungen im Gang waren, die auch zu einem engeren Verständnis des Apostelbegriffs führten. Das war aber in den frühkirchlichen Zeiten – und hierhin gehört auch Junia – nicht der Fall! Sie wird ja in Röm 16,7 von Paulus erwähnt, der dieses amtliche Verständnis von „Apostel“ eben nicht hatte, weil er sie unter die vielen Apostel einordnet, die eben als Verkünderinnen und Verkünder tätig waren. Für Paulus war das kein Problem, weil er eben kein amtliches Verständnis von „Apostel“ hatte. Für Lukas, bei dem die Amtsentwicklung schon eingesetzt hatte, schon. Sie merken: Die Sache ist doch wesentlich komplexer, weil man die zeitlichen Entwicklungen mit berücksichtigen muss, die eben schon im 1. Jh. für erhebliche Fortschreitungen gesorgt haben.)
Um wirklich sauber zu arbeiten, müssen Sie eben exegetisch und nicht dogmatisch an die Texte herangehen – und Sie tun genaus das – zudem aus Sicht und mit Begriffen der heutigen Zeit. Das wird den Texten nicht gerecht – und nimmt ihnen zudem die kritische Komponenten, weil Sie wieder alles nur um das Amt herum bauen. Junia zeigt doch, dass man aus eigener Intention verkünden kann (wie übrigens andere Stellen im NT auch). Warum wollen Sie sie mit einem Amt zähmen? Sobald aber im Auftrag der Kirche offiziell gehandelt wurde, kam man nie an der 12er-Kreis-Grundlage vorbei, die auch Paulus trotz seines Anspruches, beachtet.
Wenn doch viele wie Junia öffentlich verkünden würden, statt hinter die Altäre zu streben, wo man sich doch so schön hinter dem Heiligen verschanzen kann. Da stehen sich doch schon so viele die Füße platt, ohne dass das Wort in die Welt verkündet würde. Ich frage mich, ob da die Perspektiven immer richtig gesetzt werden? Auch über die jeweiligen Motive rätsele ich oft. Das Wort muss in die Welt, das ist der Auftrag der Kirche. Wer erfüllt denn diesen Auftrag, für den es keine Weihe braucht? Stattdessen probt man die Revolution durch simulierte Eucharistiefeiern im Wohnzimmer. Hat nicht Paulus selbst Wert darauf gelegt, zuerst Verkünder zu sein? War er nicht stolz darauf, in Korinth nur wenige getauft zu haben, sondern für die Verkündigung zuständig gewesen zu sein? Der Kirche mangelt es nicht an Zelebranten. Und wenn jetzt Zelebrantinnen dazu kämen – wogegen ich nichts hätte – wäre doch nichts für die Welt gewonnen, weil die Mauer der Altäre dann noch mehr zugemauert würden. Wir müssen in die Welt – als Apostel, denn das sind wir doch jetzt schon durch Taufe und Firmung: Beauftragt zur Verkündigung. Worauf wartet man denn noch?
Insgesamt überbewerten sie deshalb den Apostelbegriff. Der ist eben kein Titel, sondern nur eine Funktionsbezeichung. Sie können daraus nichts ableiten. Apostel sind einfach Verkünderinnen und Verkünder – nicht mehr und nicht weniger. Da lassen Sie sich von der heutigen Verwendung des Begriffes, der nicht den historischen Fakten enspricht, blenden.