Dies Domini – 2. Sonntag der Osterzeit/Weißer Sonntag, Lesejahr B
Atheisten und fromme Christen sind sich selten einig. Da verwundert es schon, dass ausgerechnet das Wunder sie zu Brüdern im Geiste ein, denn beide brauchen das Wunder: Diese, um einen greifbaren Beweis für das zu haben, was sie glauben, einen Beweis, der den Zweifel zum Schweigen bringt; jene, damit sie einen Beweis für ihre Zweifel haben, denn das Übernatürliche widerspricht doch offenkundig der Vernunft und den Naturgesetzen. Die Seelen beider ringen nach Bestätigung. Wie die Königskinder können sie aber nicht zueinander finden. Die Macht des Zweifels trennt sie, da die einen den Zweifel nicht ertragen können, während die anderen den Zweifel als Argument und nicht als Triebfeder der Erkenntnis benutzen. Ihr Bekenntnis lautet: Was angezweifelt werden kann, kann nicht wahr sein. Und so hallt die faustische Klage auch in der Gegenwart durch die Welt:
Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne, mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag ich nicht zu streben,
woher die holde Nachricht tönt;
und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben. (Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, VV. 762-770)
Anlass des faustische Seufzers ist der Klang einer Glocke, die in der Osternacht die Auferstehung Christi verkündet. Faust aber sitzt in seinem Studierzimmer und sucht nach der Wahrheit hinter den Dingen, nach meta-physischer Erkenntnis. Von ferne hört er dort den tröstlichen Ostergesang, der den Tod nicht verleugnet und gerade deshalb die Auferstehung verkündet.
Dass Tote wieder leben, ist in der Tat mit gesundem Menschenverstand wohl kaum zu begreifen. Das ist gegen die Natur. Tot ist tot! Daran gibt es doch keinen Zweifel.
Selbst die, die mit Jesus über die Lande zogen – ein Jahr, vielleicht auch drei, mehr auf keinen Fall – hatten ihre Schwierigkeiten mit der Botschaft, die die Frauen am Sonntag nach dem dunklen Freitag brachten: Der Stein weggewälzt, das Grab leer, aber der Held erwacht?
Die Apostel hielten das alles für Geschwätz und glaubten ihnen nicht. (Lukas 24,11)
– so weiß Lukas zu berichten, der wenig später einen der beiden Emmausjünger sagen lässt:
Einige Frauen haben uns in große Aufregung versetzt. Sie waren in der Frühe beim Grab, fanden aber seinen Leichnam nicht. Als sie zurückkamen, erzählten sie, es seien ihnen Engel erschienen und hätten gesagt, er lebe. (Lukas 24,22f)
Das leere Grab weckt den Zweifel, nicht den Glauben. Selbst die erste Entdeckerin des leeren Grabes ist ob der Leere zuerst bestürzt. Nach Johannes rennt sie nahezu kopflos zu den Jüngern Jesu, die sich zum aufgebrochenen Grab eilen. Petrus ist der erste, der hineingeht. Er erkennt lediglich, dass dort
die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besondere Stelle. (Johannes 20,6b.7)
Immerhin heißt es von Johannes, der nach dem Johannesevangelium als zweiter das leere Grab betritt:
Er sah und glaubte. (Johannes 20,9)
Allerdings fügt der Evangelist hinzu:
Denn sie verstanden noch die Schrift noch nicht, dass er von den Toten auferstehen musste. (Johannes 20,10 – Übersetzung: revidierte Lutherbibel, 1984)
Das „Sehen“ (griechisch hier: εἶδω/sprich: eîdο) führt noch nicht zum „Erkennen“ bzw. „Verstehen“ (griechisch hier: οἶδα/sprich oîda). Die beiden Verben sind sprachlich verwandt. Sie gehen auf dieselbe Wurzel zurück. Und doch unterscheidet sie Wesentliches: Das Verstehen verwendet die Perfektform. Es ist ein vollständiges Erkennen. Verstehen kann man nicht oberflächlich, nicht auf den ersten Blick, nicht dem Augenschein nach. Dem Augenschein nach kann man (noch) nicht erkennen. Es braucht ein tieferes Eindringen in die Wahrheit; Erkenntnis muss gewonnen werden. Gewinnen kann man nur nach einem Kämpfen und Ringen. Womit aber muss gerungen werden?
Jedes Jahr wird am Weißen Sonntag, dem 2. Sonntag der Osterzeit, das Evangelium vom zweifelnden Thomas verkündet. Er hört die Botschaften derer, die nicht nur vom leeren Grab erzählen, sondern von der Begegnung mit dem Leibhaftigen, mit dem leibhaftig Auferstandenen. Es ist die wirklich Begegnung, die die Gewissheit der Auferstehung schafft. Selbst das bloße Erblicken des Auferstandenen alleine reicht noch nicht. Maria von Magdala erblickt ja nicht nur das leere Grab als erste; sie sieht ihn auch als erste. Nachdem Petrus und Johannes in das leere Grab gesehen und – einfach so – wieder gegangen sind, geht Maria von Magdala selbst in das Grab hinein. Voller Trauer und Bestürzung weint sie. Im Grab begegnet sie zwei Gestalten. Nirgends ist davon die Rede, wie sie hineingekommen sind, in dieses leere Grab, das nun doch ziemlich voll wirkt. Johannes beschreibt sie als Engel, die Maria nach dem Grund ihres Kummers fragen. Nun endlich, so möchte man meinen, muss doch endlich Erkenntnis einsetzen. Aber auch das genügt noch nicht:
Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo man ihn gelegt hat. (Johannes 20,13)
So viele Wunder und immer noch kein Glaube an die Auferstehung. Und selbst als Maria den Auferstandenen erblickt, versteht sie immer noch nicht:
Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. (Johannes 20,15)
Ein leeres Grab, ordentlich zusammengelegt Leichentücher, ein Tuch, das über dem Kopf des Toten gelegen hatte, zwei Engel und der Auferstandene daselbst – all das genügt nicht, um den Glauben zu wecken. Wunder über Wunder – aber der Zweifel bleibt. Erst als Jesus sie mit dem Namen anspricht:
Maria! (Johannes 20,16)
wandelt sich das Bild. Maria wendet sich um, mehr noch, sie wendet sich ihm zu und wird darin verwandelt (all das schwingt in dem griechischen Wort στραφεῖσα/sprich: strapheîsa, das hier verwendet wird, mit):
Da wandte sie sich um und sagte auf hebräisch zu ihm: Rabbuni! (Johannes 20,16)
Rabbuni! – das ist ein Kosename, ein Hypokoristikum, in dem Respekt und Nähe gleichermaßen mitschwingen.
Erst in dem Ergriffensein von der Person des Auferstandenen wird der Glaube begründet. Alle wunderbaren Indizien und Beweise bringen da nichts. Ihre Ambivalenz ist der Grund für einen Zweifel, dem man sich ergeben und verzweifeln kann, dem man sich aber ebenso auch stellen und an ihm reifen kann. Der Zweifel ist deshalb nicht per se der Feind des Glaubens. Er ist das Spielfeld, die Herausforderung an der sich der Glaube bewähren und mit ihm wachsen kann. Der Zweifel ist der Bruder des Glaubens, weil nur der zweifelerprobte Glaube zu wirklichem Verstehen und Erkennen führt.
Das alles steht dem Thomas deshalb selbstverständlich noch bevor. Das Zeugnis, dass die anderem ihm geben, ist glaubwürdig. Es gibt für ihn eigentlich keinen Grund, daran zu zweifeln. Er kennt sie zu gut. Sie haben viel miteinander durch gemacht. Und doch geht es gegen die Vernunft, was sie sagen: Der Tote ist wieder da. Der Gekreuzigt lebt:
Wir haben den Herrn gesehen! (Johannes 20,25)
Das alles beseitigt den Zweifel nicht. Es ist zu phantastisch, als dass ein vernunftbegabter Mann, der mit beiden Beinen im Leben steht, sich davon beeindrucken ließe. Der Vernunftstolze weiß doch, worauf es ankommt – auf Fakten und Beweise:
Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. (Johannes 20,25)
Sehen und begreifen – das ist das, was die frommen Christen und die Atheisten eint. Die einen glauben, im Wunder einen Beweis für den Glauben zu haben, die anderen entzaubern das Wunder durch wissenschaftliche Erklärungen oder entlarven es als Phantasiegebilde. Beide bleiben an der Oberfläche, weil man nur das sehen und begreifen kann, was oberflächlich ist. Die Wahrheit selbst aber liegt in der Tiefe verborgen, unter dem Schein der Oberfläche. Wer sie finden will, muss umdenken.
Thomas hätte die Wunden Jesu berühren dürfen. Aber er schreckt letztlich vor dem Hauch der Ewigkeit zurück. Aber er kommt dem Ewigen nahe. Es ist diese Nähe, die so begründete Intensität der Begegnung, die das nicht mehr zurückzuhaltende Bekenntnis hervorbrechen lässt:
Mein Herr und mein Gott! (Johannes 20,28)
Auch die Jünger selbst haben diese Nähe erfahren. Das Evangelium, das am Weißen Sonntag verkündet wird, berichtet, dass Jesus sie einzeln angehaucht hatte:
Empfang den Heiligen Geist! (Johannes 20,22)
Die Jünger atmen den Atem Jesu. Es ist wie eine Neuschöpfung, denn auch Adam kam zum Leben, als Gott dem Klumpen aus Ackerboden Lebensatem in die Nase blies (vgl. Genesis 2,7).
Alles das wird durch die Zeiten immer wieder in Zweifel gezogen: Sicher ist doch nur, was man sehen und begreifen kann. Dabei hat so mancher das Staunen verlernt. Die Selbstverständlichkeit des Daseins trübt so manchen Blick der ehemals vor Staunen weit geöffneten Augen. Dabei hat schon René Descartes im 17. Jahrhundert den engen Zusammenhang zwischen Existenz, Zweifel und Gewissheit in prägnante Sätze gefasst:
Ich zweifle, also denke ich.
Ich denke, also bin ich.
Der Zweifel ist der Grund aller Erkenntnis. Weil Glaube Erkenntnis ist, braucht er den Zweifel, wie der Mensch die Luft zum Atmen. Und wer atmet, sollte sich gelegentlich wundern, warum er das überhaupt tut. Es könnte sein, dass er den Grund des Seins entdeckt, den, der den Lebensatem einhaucht. Der Zweifel, der aus der Frage erwächst, warum der Mensch überhaupt ist, kann zum Nährboden der Erkenntnis werden, dass es der Atem des Auferstandenen ist, der das Leben bringt.
Man kann den Zweifel an der eigenen Existenz leugnen und auf Wunder vertrauen. Man kann den Zweifel an der eigenen Existenz leugnen und nur auf das vertrauen, was vor Augen liegt. Wer den Zweifel erträgt und sich auf die Suche nach der Wahrheit macht, der kann sie nur im Grunde seiner selbst finden – im Ursprung seiner Existenz. Es ist der Hauch der Ewigkeit, dieser Atem des Ewigen, der das Leben gibt und den Tod verweht. Mensch, erkenne was du bist: Träger des ewigen Atems!
Nicht das leere Grab, nicht die Botschaft der Engel, erst die Begegnung mit dem Auferstandenen begründet den Glauben an die Wahrhaftigkeit der Auferstehung. Die Intensität einer solchen Begegnung ist auch heute möglich. Es ist die Begegnung mit dem Grund des Lebens überhaupt, mit dem Atemgeber, dem Lebendigmacher. Er haucht den Atem auch in diesem Moment wieder ein.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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