Dies Domini – Dreifaltigkeitssonntag, Lesejahr B
Grauen Pfauen gleich spreizt der Mensch von heute gern die Federn. Unbeeindruckt vom Mangel eigener Originalität füllt er die Kommentarspalten und stolziert auf der Timeline umher. In seiner Eitelkeit erträgt der graue Pfau von heute es nicht, nicht das gesagt zu haben, was von allen anderen schon gesagt worden ist. Die Kommentarspalten der sogenannten sozialen Medien werden von diesem Unrat kommunikativer Absonderungen gefüllt, in denen man sich gegenseitig versichert, einen „klasse Kommentar“ geschrieben zu haben, oder einfach unbekannterweise Glückwünsche zu Geburtstagen jener postet, die man im Internet Freunde nennt, auch wenn man sie analog nicht kennt. Das Soziale an den neuen Medien besteht darin, dabei zu sein; und wer dabei ist, muss das zeigen. Zwischen mausgrau, aschgrau, silbergrau und pfauengrau findet sich immer noch ein aschfahles Plätzchen.
Das Leben des grauen Pfaus von heute folgt auch in Zeiten virtueller Realitäten den Gesetzen der Mechanik. Kein Thema kann so unbedeutend sein, dass der graue Pfau nicht begierig nach ihm picken würde. Er hat zu allem seinen Laut beizutragen, der sich krächzend der dürren Kehle entringt. Der graue Pfau ist ein mechanischer Sklave der eigenen Reflexe. Das Stolze seiner buntgefiederten Vorfahren ist ihm abhanden gekommen, dieser Mutation der Dichter und Denker. Wo man früher forschte, fordert er heute forsch Gehör. Wo man früher um Erkenntnis rang, ringt er heute um Anerkennung. Wo man früher Werte begründen musste, wird heute der Wert zu RBegründung selbst. Der graue Pfau hat keine Haltung mehr, sondern er bezieht Stellung. Im Stellungskampf der Gegenwart gibt es keine Meinungen mehr, die man begründen müsste. Vielmehr sucht sich jeder seinen Graben, in dem man dann mit anderen grauen Pfauen über die anderen grauen Pfaue in anderen Gräben schimpft.
Der graue Pfau ist ein Herdenwesen. Wer nicht für ihn ist, der ist gegen ihn. Weil er aber seine Herde hat, braucht er keine wirklich Begegnung mit den anderen. Der graue Pfau definiert sich vor allem durch das, was er nicht ist. Er ist auf keinen Fall grau wie die anderen in den anderen Gräben. Sein grau ist etwas Besonderes. Wahlweise ist es ein besonders modernes Grau – oder ein mystisches. Die Mystik beschwört der graue Pfau besonders gerne – vielleicht eine Ahnung an seine genetischen Wurzeln in bunter Vergangenheit, als das Licht noch flirrend war und eine Pracht der Farben hervorbrachte. In diesem Licht konnte man nicht nur erkennen, dass jeder Pfau seine eigenen Muster hatte; es gab sogar Nicht-Pfauen. Und es gab das Licht. Alles war relativ zu diesem Licht. Es war das Licht das offenbarte. Wo aber das Licht war, da war auch Schatten; auch der Schatten lebte vom Licht. Ohne das Licht aber war nichts, nur Dunkelheit. Und in der Dunkelheit sind selbst die Pfauen grau.
Die Evolution bringt es mit sich, dass sich das Leben den Umständen anpasst. Der graue Pfau hat sich an die Dunkelheit gewöhnt. Seine Wahrnehmung ist auf Kontraste geprägt. Der graue Pfau liebt den Kontrast. Deshalb echauffiert er sich gerne, dann weiß er, dass er noch da ist. Im Dschungel des Lebens muss er deshalb immer wieder Laut geben, wenn er andere Laute hört. Und auf seine Laute antworten wieder Laute. Er ist binär geworden wie die digitale Welt, in der er so gerne nach Aufmerksamkeit strebt, um zu wissen, dass er noch da ist. Schwarz und weiß – mehr Kontrast braucht er nicht. Und so hält er den Graben, in dem er sitzt, schon für die ganze Welt. Die anderen in den anderen Gräben kann er nicht sehen. Nur ihre fernen Rufe, die ihm fremd sind und die ihm Angst machen, weil er sie in der Dunkelheit nicht sieht, hört er. Und natürlich ruft er zurück und mit ihm die in seinem Graben. Sie rufen und krächzen hin und her mit den immer gleichen Lauten, ohne dass sie sich näher kämen.
Wenn die Schwaden, die durch diese kommunikativen Ausdünstungen entstehen, sich lichteten, dann könnte der graue Pfau vielleicht seine Umgebung erblicken. Er wäre vielleicht geblendet von der zarten Helligkeit, die sich verbreitete. Ja, vielleicht würde sich sogar Furcht seiner bemächtigen. Er würde die Mechanismen erkennen, in denen er sich selbst gefangen hat, die Reiz-Reaktions-Schemen, die in der reflexhaften Verurteilung des anderen bestehen. Er würde erkennen, dass er sich selbst zum Sklaven seiner selbst gemacht hat. Und er würde den Zweifel erkennen, dass die eigene Stellung noch keine Haltung ist. Er würde erkennen, dass er Flügel hat. Und nach langem Rätseln, wofür diese Extremitäten überhaupt gut sein sollen, würde er sich nach vielen Versuchen und Irrtümern vielleicht sogar in die Luft erheben. Ja, er würde fliegen dem Licht entgegen. Und er würde erkennen, was unter ihm ist. Er würde das Schlachtfeld der sozialen Medien erkennen und den Nebel des medialen Pulverdampfes, der alle Pfauen grau macht.
Von dort oben würde er rufen einen Laut. Er würde danach streben, denen da unten die Wahrheit zu sagen, damit auch sie fliegen. Er würde ihnen zurufen: Ihr seid Pfauen, fliegt! Fliegt, der Erkenntnis entgegen!
Der Dreifaltigkeitssonntag ist ein Fest der Erkenntnis. Es ist das Fest der Offenbarung des göttlichen Wesens. Die Texte des Dreifaltigkeitssonntags offenbaren einen Gott, der nicht fern, sondern den Menschen nah ist. Es ist ein Gott, der sich in der Geschichte ereignet. So heißt es in der ersten Lesung vom Dreifaltigkeitssonntag im Lesejahr B:
Heute sollst du erkennen und dir zu Herzen nehmen: Jahwe ist der Gott im Himmel droben und auf der Erde unten, keiner sonst. (Deuteronomium 4,39)
Er allein ist Gott. Er ist der Bezugspunkt, auf den alles bezogen ist. Nicht der Mensch macht sich Werte und es sind nicht die Werte in sich, die schon Begründung wären. Die Werte selbst müssen verantwortet und begründet werden:
Daher sollst du auf seine Gesetze und seine Gebote, auf die ich dich heute verpflichte, achten, damit es dir und später deinen Nachkommen gut geht und du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir gibt für alle Zeit. (Deuteronomium 4,40)
Das mechanische Reiz-Reaktion-Schema des „Gefällt mir“/“Gefällt mir nicht“ reicht da nicht. Wer im Grau dieses Grabens hocken bleiben möchte, kann das sicher tun. Wer aber die Stellung verlassen möchte und nach wahrer Erkenntnis strebt, der muss die Anstrengung des Forschens auf sich nehmen:
Forsche doch einmal in früheren Zeiten nach, die vor dir gewesen sind, seit dem Tag, als Gott den Menschen auf der Erde schuf; forsche nach vom einen Ende des Himmels bis zum anderen Ende: Hat sich je etwas so Großes ereignet wie dieses, und hat man je solche Worte gehört? (Deuteronomium 4,32)
Wer forscht, wird dem Zweifel nicht entrinnen und der Selbstinfragestellung. Der Zweifel ist der Antrieb, der erst den Flug zur Erkenntnis ermöglicht. Der Zweifel an dem, was ist und wie es ist, wird zum Impuls des Aufbruchs. Nicht umsonst berichtet auch das Evangelium vom Dreifaltigkeitssonntag im Lesejahr B von diesem Zweifel: Nach der Auferstehung Jesu
gingen die elf Jünger nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Einige aber hatten Zweifel. (Matthäus 28,16f)
Erst der Zweifel hebt das, was sie jetzt erfahren, aus der Suggestion und Illusion heraus. Wahre Erkenntnis muss sich am Zweifel bewähren. Erst aus dem Zweifel heraus gewinnt der nun folgende Auftrag Relevanz und Bedeutung:
Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt. (Matthäus 28,19f)
Die Lehre ist nicht beliebig. Sie muss sich orientieren an den Geboten Jesu. Sie gilt es zu erforschen. Wer auch immer nach Erkenntnis strebt, muss sich der Anstrengung des Forschens und Begründens unterziehen.
Zu fliegen, ist eine Kraftanstrengung. Man muss die Muskeln trainieren. Auch der Muskelkater wird sich nicht vermeiden lassen. Aber es wird sich lohnen. Der graue Pfau ist hoffentlich kein toter Pfad der Evolution. Er wird sich weiterentwickeln. Im Licht der Erkenntnis wird er wieder Farbe und Kontur gewinnen. Er wird es nicht mehr nötig haben, zu krächzen, weil alle krächzen. Die Welt wird staunen, weil er da ist. Und viele werden anders sein. Das wird anstrengend – aber erkenntnisreich!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Du kannst einen Kommentar schreiben.