Dies Domini – 12. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Immer noch ist Brutzeit. Gebrütet wird in Kirche und Gesellschaft gleichermaßen. Zwischen Balz und Geburt ist sie eine Zeit der Reifung. Ist die Reifung erreicht, bricht das Neue hervor und erobert die nach und nach die Welt. Die Brutzeit ist ein Prozess mit einem klar definierten, schöpferischen Ziel: Neues will, nein: muss das Licht der Welt erblicken. Wehen begleiten die Geburt des Neuen. Keine Veränderung geschieht ohne diesen Schmerz. Eine nie enden wollende Schwangerschaft aber führt zur Vergiftung. Vor allem die nie enden sollenden Schwangerschaften, in denen sich die Kirche der Gegenwart verstrickt, sind hoch toxisch. Das Neue, der Aufbruch wird zwar stets beschworen und soll kommen, wird aber nicht wirklich ersehnt, denn alles soll eigentlich bleiben, wie es ist. So werden die Stuhlkreise der zahlreichen Leitbildprozesse, Zukunftswege und Aufbruchbewegungen zu Kreißsälen ohne Wehen und Neugeborenengeschrei. Die Kirche weiß sich im Brutnest geborgen. Küken sind anstrengend, unberechenbar und werden zudem noch flügge. Besser also tut man so als würde man brüten. Das hält wohlig warm. Wehen aber meidet man lieber, denn der Schmerz des Neuen könnte dann doch etwas ändern.
Der Mangel an Veränderungswilligkeit ist nicht natürlich. Im Gegenteil: Die ganze Natur ist durch ein ständiges Werden und Vergehen geprägt, eine Evolution, die immer wieder sich selbst mutierend Neues hervorbringt, in der Mutation aber eine Treue zum Vergangenen bewahrt. Nichts fällt dort einfach vom Himmel. Jeder Entwicklungsschritt basiert auf etwas Vorhergehendem, das sich fest in die DNA des Neuen einprägt, dort auffindbar ist und so im Neuen selbst weiterwirkt, ja, das Neue selbst prägt. Neues entsteht so immer aus Altem und Bewährtem, das sich aber in das Neue hinein entwickelt. Erfahrungen, Einflüsse, natürliche Veränderungen bedingen diesen evolutionären Anpassungsprozess, ohne den das Alte sich nur als vermeintlich Bewährtes erweisen würde, weil das ehemals Gute in den neuen Herausforderungen dann doch nicht bestehen könnte.
Die Natur ist daher von jeher verschwenderisch. Sie liebt den Irrtum, nimmt ihn mit Freude in Kauf, weil nur durch Versuch und Irrtum das Neue, das in der Gegenwart Bestand hat, um sich in der Zukunft dann doch weiterzuentwickeln, entdeckt werden kann. Wäre Besitzstandswahrung ein Wert der Natur, dann hätte das Leben keine Chance gehabt. Es ist zu risikoreich, zu energiebedürftig, zu unberechenbar, als dass es sich eine besitzstandsverliebte Natur eine solche Verschwendung hätte leisten können.
Insofern die jüdisch-christliche Tradition das Sein der Welt einem schöpferischen Akt Gottes zuschreibt, erzählt das Sosein der Welt viel über das lebensverliebte, risikofreudige und besitzstandsresistente Wesen Gottes. Viel wird von der Dynamik und Liebe Gottes geredet mit Geistlichkeit vorhauchenden Mündern, deren Laute dann aber so lau klingen, dass man sich fragt, ob ein Gott, der solche Art von Geistlichkeit einfordern würde, wirklich in der Lage wäre, mit der puren Macht seines Wortes ein ganzes Universum ins Dasein zu rufen. Im Gegenteil: Das behauchte Reden jener, die vermutlich im lautbegleitenden Luftstrom das Wehen des Geistes andeuten wollen, das sich meist in einem verzückten Lächeln zusätzlich Ausdruck verschaffen soll, gleicht eher dem Flüstern, von dem in der ersten Lesung vom 12. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A die Rede ist:
Ich hörte das Flüstern der Vielen: Grauen ringsum! Jeremia 20,10a
Der wahre Prophet hingegen ist von anderem Kaliber, wie die der Lesung voranstehenden Verse andeuten:
Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt. Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag, ein jeder verhöhnt mich. Ja, sooft ich rede, muss ich schreien, «Gewalt und Unterdrückung!», muss ich rufen. Denn das Wort des Herrn bringt mir den ganzen Tag nur Spott und Hohn. Sagte ich aber: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, so war es mir, als brenne in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinem Innern. Ich quälte mich es auszuhalten und konnte nicht. Jeremia 20,7-9
Der Text beschreibt eindringlich das Schicksal wahrer Propheten. Sie haben sich ihr Schicksal nicht ausgesucht. Sie wurden gepackt und überwältigt. Ihnen ist nicht nach holdseligem Lächeln, behauchten Worten oder schiefen Hälsen zumute, denn ein schiefer Hals präsentiert sich den Gegner als Angriffsfläche. Der wahre Prophet haucht nicht, er schreit, er klagt an! Seine Klage gilt den gegenwärtigen Zuständen, die ob ihrer Ungerechtigkeit der Veränderung bedürfen. Genau jene Ungerechtigkeit benennt er ohne Wenn und Aber. Das aber bringt ihm Widerstand ein. Kein Prophet ohne Widerstand! Er stößt auf Widerstand und wird dadurch selbst seinem Schicksal gegenüber widerständig. Am liebsten würde er selbst im Brutstatus bleiben. Soll die Welt sich doch um sich selbst drehen.
Der prophetische Widerstand gegen sein Schicksal stößt aber selbst auf Widerstand, denn gepackt vom Höchsten brennt in seinem Herzen ein Feuer, dem er nicht ausweichen kann. Würde er einfach weiterbrüten, das Feuer würde ihn verzehren; vernichten würde ihn die Brutvergiftung. So muss der Prophet weiter Widerstand leisten, nicht gegen sich, sondern gegen die Verhältnisse der Umwelt, die er nicht ignorieren kann. Veränderung ist das Wesen des Prophetenschicksals, Veränderung ist auch dessen Ziel.
Freilich muss sich der Prophet quälen. Es gilt den Schmerz auszuhalten und die Verzweiflung wahrzunehmen. Ja: Der Prophet droht sogar am Schmerz zu zerbrechen wie eine Schwangere auf dem Höhepunkt der Wehen den Schmerz kaum auszuhalten vermag und ihn doch durchleben muss, weil das Neue mit Macht zum Licht der Welt drängt. Propheten gehen Schwanger, erleben Wehen des Geistes – und haben keine wirkliche Alternative. Wer wirklich von Gott gerufen wird, muss Geburtsqualen auf sich zu nehmen bereit sein.
Wie sehr das Neue jeder notwendigen Veränderung imstande ist, Qual und Schmerzen zu bereiten, kann man auch am Winden und Wenden derer erblicken, die in der Kirche Verantwortung tragen. Obschon mittlerweile seit Jahrzehnten ein zahlenmäßiger Rückgang geweihter Amtsträger zu beobachten ist, versucht man den Status quo einer klerikerzentrierten Verfassung der Kirche aufrecht zu erhalten. Es wird zwar viel geredet von mitsorgenden Gemeinden und partizipativer Pastoralkonzepte. Wenn es aber darauf ankommt, haupt- oder ehrenamtlichen Laien wirklich die Sorge für die Verkündigung aufzutragen, erstickt die Angst vor der daraus resultierenden Veränderung das kleine Fünkchen Mut, das in den Stuhlkreisen der Leitbildprozesse, Zukunftswege und Dialogveranstaltungen noch ein wenig Leben in der zu Asche verglühter Glanz und Glorie vergangener Tage zu versprechen schien. Die geforderte neue Vielfalt schlägt sich dann bestenfalls in bunten Hochglanzprogrammen wider, letztlich aber toter Buchstabe auf glänzendem Totholz sind. Mit diesem blendenden Placebo werden hingegen die wahren Propheten bedroht, wie es in der ersten Lesung vom 12. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A heißt:
Meine nächsten Bekannten warten alle darauf, dass ich stürze: Vielleicht lässt er sich betören, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen. Jeremia 20,10c
Der Versuch der Betörung erweist sich als Sedativum. Eingelullt von vermeintlichen Aufbrüchen gerät das eigentliche Wesen der Kirche aus dem Blick, wie es Jesus Christus selbst im Evangelium vom 12. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A den Zwölfen, die zum Fundament eben jener am Pfingstfest durch Geistwehen zur Welt kommenden Kirche werden sollen, ins Leben schreibt:
Fürchtet euch nicht vor den Menschen! Denn nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet am hellen Tag, und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern. Matthäus 10,26f
Verkündigung ist das Wesen der Kirche. Nichts als Verkündigung! Gemeinden entstehen aufgrund von Verkündigung. Menschen kehren sich zum Herrn aufgrund von Verkündigung. Keine Hierarchie wird hier ins Leben gerufen, keine Strukturen festgelegt. Das Fundament der Kirche, ihr innerstes Wesen ist Verkündigung. Verkündigung aber ist das Schicksal der Propheten, wie es schon Jeremia bei seiner Ergreifung zum Propheten erfahren muss:
Das Wort des Herrn erging an mich: Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt. Da sagte ich: Ach, mein Gott und Herr, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung. Aber der Herr erwiderte mir: Sag nicht: Ich bin noch so jung. Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir, um dich zu retten – Spruch des Herrn. Dann streckte der Herr seine Hand aus, berührte meinen Mund und sagte zu mir: Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund. Sieh her! Am heutigen Tag setze ich dich über Völker und Reiche; du sollst ausreißen und niederreißen, vernichten und einreißen, aufbauen und einpflanzen. Jeremia 1,4-10
Die gegenwärtige Krise, in die viele die Kirche hineinreden, ist zuvorderst eine Krise der Verkündigung. Es gibt weder einen Mangel an Gläubigen noch an Priester, wahrscheinlich gibt es auch keinen Mangel an Glauben. Allerdings gibt es einen Mangel an wahrhaft prophetischer Verkündigung. Wo mit lauter und lauterer Vollmacht das Wort Gottes widerständig verkündet werden müsste, werden fromme Worte gehaucht. Wo einen Schrecken ob des göttlichen Ergriffenseins befallen müsste, wird hold selig gelächelt. Wo den Fragen der Welt Antworten gegeben werden müssten, ruft man zur Stille auf, damit man einen Gott höre, dessen Stimme wie Donnerhall in der Welt gewärtig ist. Wer so redet, macht Gott klein. Gott aber ist immer größer! Kann eine Welt die ernst nehmen, die sich selbst nicht ernst nehmen?
Gott ist groß. Das ganze Weltall, seine für Menschen schier unfassbare Grüße sollte die Verkünder ehrfürchtig werden lassen ob des Auftrages, den ihnen dieser Gott, der imstande ist so Großes zu tun, anvertraut hat. Es ist eine Ehre, diesen Auftrag zu erhalten, der gleichzeitig doch Furcht mit sich bringt. Darin besteht die Ehrfurcht. Das Werden der Schöpfung aber ist auf Veränderung angelegt.
Stattdessen aber beschäftigt man sich leibe in Konferenzräumen und an Schreibtischen mit dem Ausdenken von Strukturprozessen, die man dann doch lieber nicht in Gang setzt, weil ein Prozess immer noch Veränderung mit sich bringt. Schmerzscheu brütet man lieber weiter im Dunkeln, statt im Licht der Welt mit Vollmacht das Wort Gottes auszurufen.
Ach! Würde man sich doch ein Beispiel an jenen Spatzen nehmen, von denen Jesus im Evangelium spricht. Sie scheinen so wenig wert zu sein – wenige Kupfermünzen nur. Und doch singen sie das Lob Gottes bereits im Morgengrauen unüberhörbar von den Dächern in die Welt hinein. Und sie lieben das Neuwerden in der Welt. Spatzen sind schnelle Brüter. Bis zu dreimal im Jahr brüten sie ein neues Gelege aus. Die Spatzen scheinen echte Propheten zu sein. Ahmt die Spatzen nach, ihr Christen. Verändert euch. Pfeift es von den Dächern, auf den Straßen und auf den Plätzen:
Wer den Herrn vor den Menschen verleugnet, den wird auch er vor dem Vater im Himmel verleugnen. Nach Matthäus 10,33
Wer die hindert, die den Herrn verkünden wollen, leistet dem Wesen der Kirche Widerstand. Verkündigung aber ist Sache aller Christen. Bleibt nicht im sichereren Hafen, brütet nicht weiter im Nest, sondern segelt mit dem frischen neuen Wind, der weht, breitet die Flügel aus und fliegt, sonst wird euch ewigbrütend-selbsttoxierten Besitzstandswahrer der Habicht holen! Gott aber hat den Wind, mit dem der Geist durch die Zeiten weht, offenkundig doch schon längst gedreht. Auf also ins Abenteuer!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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