Wieder ist Advent. Advent ist Schaltzeit. Wie auf Knopfdruck ertönen aus den Radiosendern Lieder von rotnasigen Rentieren namens Rudolf, Menschen, die letztes Jahr Weihnachten ihr Herz verschenkt haben und – Wham! – erstaunt waren, dass auch bei diesem Geschenk nach den Feiertagen mit Umtausch zu rechnen ist, oder von Träumen, die postfaktisch dem Klimawandel trotzend eine weiße Weihnacht besingen. „Stille, geschenkte Zeit, Einkehr und Besinnung“ – tönt es alljährlich im Advent hingegen von den Kanzeln der Kirchen, wobei ein „inmitten der Glühweinstände der Weihnachtsmärkte“ den Kontrast noch erhöht und deutlich wird, dass der wirkliche, der echte, der wahre Advent doch eher einen Hauch von Langeweile denn verheißener Ewigkeit verströmt, wenn alle in sich versunken in das kleine flackernde Licht der Adventskranzkerzen schauen. Mit dem ersten Advent wird der Schalter umgelegt. Jetzt hat stade Zeit zu sein. Achtung: Besinnung! – lautet der Befehl. Was glauben Sie denn?
Auch in diesem Jahr zeigt der adventliche Befund, dass der Betrieb an den Glühweinständen jede Aufforderung zur stillen Einkehr Lügen straft. Die hektische Betriebsamkeit in den Innenstädten zeigt freilich, dass Weihnachten auch in einer säkularer werdenden Gesellschaft immer noch hoch im Kurs steht. Sollte es wirklich Religionskritikerinnen und Atheisten geben, die ihre Nachkommen, Partnerinnen und Partner am Hochfest der Geburt Jesu Christi, den Christen als menschgewordenen Sohn Gottes bekennen, nüchtern belehren, das alles sei ja nur ein Märchen, weshalb es jetzt auch nichts zu feiern, geschweige denn zu verschenken gäbe? Dass die Zahl der Konsumenten, die gerade an verkaufsoffenen Adventssonntagen in die Innenstädte strömen, die Zahl der Besucher adventlicher Gottesdienste um ein Vielfaches übersteigen wird, lässt rein statistisch an der letzten Konsequenz säkularer Gesellschaftsordnungen zweifeln. Weihnachten steht vor der Tür! Wer kann da still und stumm zu Hause bleiben?
Schon die Hirten konnten es weiland nicht, als sie zur Krippe eilten. Auch die Engel waren nicht still, sondern sangen vor Freude. Und selbst die heidnischen Weisen aus dem Morgenland, die nur den Naturwissenschaften vertrauend ihre Schlüsse aus dem Lauf der Gestirne zogen, vermochten nicht im stillen Kämmerlein zu bleiben. Alles rennet, feiert, jubelt. Nirgendwo ist da Zeit für Besinnung – auch für Maria und Josef nicht, die sich auf den Weg nach Bethlehem machen, um sich in eine Steuerliste eintragen zu lassen. Das übrigens ist alles andere als ein Märchen, wie ein archäologischer Fund am Westufer des Toten Meeres zeigt. Dort wurde 1960 der Brief der Jüdin Babatha gefunden, der aus der Zeit um das Jahr 127 n. Chr. stammt. Dort wird beschrieben, wie Babatha mit ihrem zweiten Mann Judanes, der aus Judäa stammte, von ihrem Wohnort Maoza in der Provinz Arabia nach Rabbath in Judäa reisen muss, um sich im dortigen Steuerbüro zu melden – ein Vorgang, der ähnlich im Lukasevangliums auch von Maria und Josef erzählt wird, die sich auf den Weg nach Bethlehem machen.
Advent – das ist die Zeit, in der die Sesshaften wieder zu Nomaden werden und die Glühweinoasen und Konsumtempel aufsuchen. Alles strebt auf Weihnachten zu. Wer kann da schweigen, wenn der Höchste niederkommt. Freut euch, ihr Christen! Wenn selbst die angeblich Nichtglaubenden Advent feiern, solltet ihr nicht still sein! Denn eins ist klar: Ohne Christen kein Advent! Die Innenstädte wären wüst und leer und still. Das kann doch keiner wirklich wollen! Es ist doch Advent – feiert ihn, denn bald schon ist Weihnachten!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ Wuppertal vom 7. Dezember 2018
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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