Wenn morgens die Sonne ihre ersten Strahlen über den Bilstein in Wuppertal-Beyenburg schickt, liegen die Ausläufer des Tals am Westring für Momente noch im Dunkeln. Wuppertal, die Stadt dazwischen, ist eine großartig unartige Stadt, die immer wieder Unmögliches hervorbringt und Gegensätze vereint. Fromme Beter vieler Konfessionen und Religionen treffen hier Menschen, die ohne Gott glücklich sind. Die Stadt brachte den kommunistischen Revolutionär Friedrich Engels und den katholischen Gesellenvater Adolph Kolping hervor. Am Haspel küsst das nüchtern-westfälische Barmen das als Zonenrandgebiet noch nicht ganz so närrisch-rheinische Elberfeld. Zwischen Aufgang und Untergang der Sonne prahlt im Tal der Wupper das pralle Leben mit all seinen Höhen und Tiefen, die Tälern an sich zu eigen sind – und mittendrin die Wupper, über die man in Wuppertal täglich geht. Gerade in diesen Zeiten kann man den Eindruck gewinnen, es sei fünf vor Zwölf: Der Zoo steht in den Schlagzeilen, weil die Eisbären hier nicht auf echtem Polareis gehalten werden und das Affenhaus kein echter Urwald ist, das Wahrzeichen der Stadt schwebt nur zu Wartungszwecken durch die Stadt und die Grüne Jugend fordert ein Fahrverbot für Elberfeld. Ist die Stadt noch zu retten? Was glauben Sie denn?
Fünf vor Zwölf ist es in der Stadt, die doch Gottes Schutz verdienet hat. Und unter Gottes Schutz steht sie zweifellos – nicht nur, weil sie im Stadtpatron, dem Hl. Laurentius, einen mächtigen Fürsprecher hat, der doch gerade die Armen als Schatz der Kirche bezeichnet hat. Die arme Schönheit Wuppertal, die es gar nicht nötig hat, sexy zu scheinen, ist dem Höchsten also schon ans Herz gelegt. Auch wenn daran grundsätzlich kein Zweifel besteht, geht der Katholik an sich doch gerne auf Nummer sicher. Der Mensch besteht ja nicht nur aus Seele, sondern auch aus Leib. Der Hilfe gewiss zu sein, ist gut, die Hilfe begreifen und fassen zu können, ist besser. Das ist wie mit Liebespaaren: Gehauchte Liebesschwüre sind das eine, ein Ring hingegen ist viel konkreter. Das ist ein Grund, warum der Katholik an sich gerne sichtbare Zeichen setzt. Ist es purer Zufall, dass sich nun ein ganz besonderer Ring geschlossen hat?
Wenn die Sonne morgens über den Bilstein lugt, erblickt sie die kleine Kapelle „Maria im Schnee“ in Beyenburg. Das ehemalige Waschhaus hat sich zum sakralen Kleinod entwickelt, das seit 2008 nicht nur Spaziergänger an der Wupper zum Verweilen einlädt. Dem Lauf der Sonne folgend gelangt man in den Süden, wo fast ein wenig unbeachtet der Hl. Joseph in Ronsdorf wartet. Dabei hätte er mehr Aufmerksamkeit verdient, ist er es doch, der im entscheidenden Moment das Richtige tut. Im Westen verabschiedet sich die Sonne schließlich aus dem Tal der Wupper, wenn sie sich über die Kirche St. Ludger senkt, die seit dem 2.2.2019 Wallfahrtsstätte der Madonna del Ghisallo ist. Die Schutzpatronin der Radfahrer gibt hier zwischen Nordbahn- und Korkenziehertrasse nicht nur denen ihren Segen, die sie besuchen. Die Gottesgebärerin war da nie kleinlich! Wer auch immer ein „Maria hilf!“ ruft, wird bei ihr nicht nur ein offenes Ohr, sondern auch die Einladung finden, einfach mal nach Norden zum Dönberg zu fahren und die gleichnamige Kirche dort zu besuchen.
Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass im Osten und Westen, im Norden und im Süden ganz konkret an die gedacht wird, die das Verlorene zu suchen und zu finden imstande sind. Sie glauben nicht an so etwas? Mag sein. Aber sie sollten auf Überraschungen gefasst sein: Den 12jährigen Jesus haben sie damals in Jerusalem immerhin drei Tage gesucht. Ihn haben sie auch gefunden!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ Wuppertal vom 8. Februar 2019
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Du kannst einen Kommentar schreiben.