Die Domini – Erster Adventssonntag, Lesejahr A
Die Schöpfung beginnt mit der Ordnung der Zeit. Abend und Morgen bilden den ersten Tag noch bevor die Räume der Welt entstehen (vgl. Genesis 1,2-5). Das Licht ist Tag und die Finsternis ist Nacht. Sonne, Mond und Sterne, ja Himmel und Erde – all das wird erst später erschaffen. Die Erschaffung der Zeit bildet das Fundament der Schöpfung. Die Zeit bringt die erste Ordnung in das Chaos und Tohuwabohu. Es ist der Geist Gottes, der die Ordnung hervorbringt. Die Zeit selbst ist das Werk des Geistes Gottes. Er wirkt in der Zeit. Er ist der Geist der Zeit. Sollte es möglich sein, dass die, die den Zeitgeist oft verfemen, da voreilig urteilen?Es ist wieder Advent – Ankunftszeit. Dabei ist der Advent eine Zwischenzeit. Es ist die Zeit vor dem Weihnachtsfest, dem Fest er ersten Ankunft Gottes in menschlicher Gestalt. Gleichzeitig belebt der Advent die Hoffnung auf die verheißene Wiederkunft Jesu Christi, seine zweite, neue Ankunft. Wann und wo sich diese Ankunft ereignet, ist weder berechenbar noch bekannt. Alle Versuche, den jüngsten Tag zu berechnen, sind nicht nur zu Recht gescheitert; sie übersehen auch das Wort Jesu selbst, das am Ende des Evangeliums vom 1. Advent im Lesejahr A steht:
„Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.“ (Matthäus 24,44)
Das Wort Jesu selbst ist offen. Er sagt nicht, dass sich seine Wiederkunft in Raum und Zeit selbst ereignet. Er sagt auch nicht, dass sie sich nicht in Raum und Zeit ereignet. Seine erste Ankunft jedenfalls vermählte Zeit und Ewigkeit, in dem der Ewige sich entäußerte und sich in seine Schöpfung selbst hineinbegab.
Der Gedanke legt nahe, dass Schöpfer und Schöpfung vorher getrennt voneinander waren und erst durch die Menschwerdung Gottes durch die dessen Initiative eine Verbindung hergestellt wurde. Tatsächlich scheinen manche Prediger diesen Aspekt zu verstärken, wenn sie die Trennung von Welt und Gott manifestieren, indem sie von einen numinosen „Zeitgeist“ beschwören, den man bekämpfen müssen. In der letzten Konsequenz bedeutet das dann, dass die Welt in sich schlecht ist, während Gott allein gut ist. An Letzterem kann man als gläubiger Mensch wohl kaum zweifeln, an ersterem aber schon. Kann es denn sein, dass der Schöpfer eine Welt erschafft, die schlecht ist? Was sagt das denn über einen Schöpfer aus, der doch an und in sich gut sein soll?
Die Aporie, die hier aufgebaut wird, ist nur zu lösen, indem Gegengötter konstituiert werden, die das an sich gute Werk Gottes bekämpfen. Dann aber wären diese Gegengötter, Zeitgeister oder wie auch immer man sie bezeichnen mag, faktische Gegenspieler eines Gottes, der so allmächtig nicht sein kann. Ist Gott aber allein der Schöpfer, verdankt sich alles, was ist, das Sichtbare und das Unsichtbar im Himmel wie auf Erden, seinem schöpferischen Wort. Auch Zeitgeister, so es sie denn überhaupt gibt, wären damit selbst Geschöpfe und Teil einer an sich guten Schöpfung.
Sie merken, liebe Leserin und lieber Leser, die kurzen Überlegungen zeigen, dass die banalisierende Rede von einem Zeitgeist, dem man sich nicht anpassen dürfe, in Widersprüche führt, die Gott nicht groß, sondern klein machen. Wer einen numinosen Zeitgeist bekämpfen zu müssen meint, bezeugt so nicht nur sein mangelndes Gottvertrauen; er zweifelt letztlich auch an Gott als Schöpfer und damit letzter Ursache von allem, was ist.
Wenn die Rede vom „Zeitgeist“ also so als theologische Absurdität entlarvt ist, stellt sich die Frage, ob es nicht sein könnte, dass Gott selbst in der Zeit wirkt. Eigentlich stellt sich diese Frage gar nicht, ist die Zeit doch selbst das Erstprinzip der Schöpfung schlecht hin. Der über den Urfluten schwebende Geist Gottes erschafft nicht nur die Zeit, er wirkt auch durch und in der Zeit – unablässig, allgegenwärtig, immer neu erschaffend, führend und leitend, sich immer neu entäußernd. Die Zeit entfließt aus der Ewigkeit und wird wieder zur Ewigkeit.
Das freilich hat Konsequenzen, die in der Rede Jesu allgegenwärtig sind. Wenn die Existenz der Zeit sich aus dem Wirken des göttlichen Geistes ergibt, dann ist der Geist Gottes in jedem Punkt der Zeit gegenwärtig. Nicht ohne Grund sagt Jesus deshalb:
In jedem Punkt der Zeit verwirklicht sich das Reich Gottes längst und ist gegenwärtig. Es kommt also nicht am jüngsten Tag, es ist immer schon da. Der Mensch kann es in seiner Freiheit leben und erleben oder nicht. Diese Freiheit ist dem Menschen gegeben. Er kann deshalb am Reich Gottes vorbeileben. Gott sei Dank ist auch Gott frei, so dass er den Verlorenen hinterherlaufen kann. Ein vor dem Reich Gottes fliehender Mensch, der zur Metanoia, zum Umdenken bereit ist, wird in seiner Umkehr deshalb sofort in die Augen Gottes sehen, der ihm freilaufen lassend trotzdem auf den Fersen war.
Man muss also die Menschen nicht vor einem merkwürdigen Zeitgeist warnen. Vielmehr sollten die Verkünderinnen und Verkünder es machen wie Jesus selbst und auf das längst und immer nahe Reich Gottes in der Zeit verweisen – so wie Paulus es in der 2. Lesung vom 1. Advent im Lesejahr A tut:
„Und das tut im Wissen um die gegenwärtige Zeit: Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf. Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts! Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht! Vielmehr zieht den Herrn Jesus Christus.“ (Römer 13,11-14a)
Paulus spricht hier nicht von hoffen oder glauben, sondern von wissen. Dabei verwendet er im altgriechischen Original eine Konstruktion, in deren Mitte das Partizip Perfekt Aktiv εἰδότες (gesprochen: eidótes) steht. Das Perfekt bezeichnet im Altgriechischen ein in der Gegenwart wirksames Resultat eines abgeschlossenen Prozesses. Das Wissen, von dem Paulus hier spricht, wird also nicht erworben. Es ist auch keine bloße Vermutung. Es ist Fakt! Eine wirksame Tatsache, die sich im Fall des hier vorliegenden Zitats auf den καιρός (gesprochen: kairós) bezieht. Die Einheitsübersetzung von 2016 übersetzt καιρός mit „gegenwärtige Zeit“. Das ist nicht ganz sauber, denn καιρός meint das Jetzt, den gegenwärtigen Augenblick, die sich jetzt ereignende einmalige und nie wiederkehrende Gelegenheit. Zeit in durativem Sinn wäre χρόνος (gesprochen: chrónos). In der altgriechischen Mythologie wird καιρός deshalb häufig mit einem Schopf am vorderen Scheitel dargestellt, den man nur im günstigen Moment der Gegenwart packen kann. Wenn der καιρός vorbei ist, bekommt man ihn nicht mehr zu fassen.
Paulus spricht also vom Jetzt des Augenblicks, vom καιρός schlechthin, der stets gegenwärtig ist. Jetzt ist die Stunde, aufzustehen vom Schlaf und das Heil zu ergreifen. Jetzt ist die Stunde, die Waffen des Lichtes anzulegen und ehrenhaft zu leben. Und „Jetzt“ ist immer!
Der Zeitgeist ist der Geist Gottes. Er ist immer gegenwärtig. Auch wenn nicht gesagt werden kann, ob sich das Kommen des Menschensohnes am Ende der Tage ereignet oder im Heraustreten der Menschen aus Raum und Zeit in die Ewigkeit, spricht im Tod selbst – die, die abfällig vom Zeitgeist reden, sollten sich vergegenwärtigen, dass sie genau damit Gottes Werk und Wirken im Wege stehen könnten, wie Jesus selbst mahnt:
„Als die Pharisäer das hörten, sagten sie: Nur mit Hilfe von Beelzebul, dem Herrscher der Dämonen, treibt er die Dämonen aus. Doch Jesus wusste, was sie dachten, und sagte zu ihnen: Jedes Reich, das in sich gespalten ist, wird veröden und eine Stadt und eine Familie, die in sich gespalten ist, wird keinen Bestand haben. Wenn also der Satan den Satan austreibt, dann ist Satan in sich selbst gespalten. Wie kann sein Reich dann Bestand haben? Und wenn ich die Dämonen durch Beelzebul austreibe, durch wen treiben dann eure Söhne sie aus? Deswegen werden sie eure Richter sein. 28 Wenn ich aber im Geist Gottes die Dämonen austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen. Wie kann einer in das Haus des Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt? Erst dann kann er sein Haus plündern. Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. Darum sage ich euch: Jede Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben werden, aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben werden.“ (Matthäus 12,24-31)
Die Sünde wider den Heiligen Geist begehen eben jene, die im Wirken des göttlichen Geistes Böses und Schlechtes erkennen. Deshalb seid vorsichtig, wenn er gegen den Zeitgeist wettert. Ist die Zeit nicht selbst Werk des Geistes, der weiter in ihr wirkt? Ist das Reich Gottes nicht immer noch nahe? Warum verstellt ihr es und seht nicht, dass der Geist Gottes euch in der Zeit neu fordert! Gott ist doch kein Beweger, der selbst unbewegt wäre – könnte er sonst Mensch werden? Nein: Gott ist ein bewegter Beweger, in sich selbst hochdynamisch, dreifaltig eben, ständig fordernd und schaffend. Wirkst doch mit am Bau des Reiches Gottes. Macht euch bereit und legt Christus als Gewand an. Wenn es ihm gefiel, in die Zeit hinabzusteigen, kann die Zeit so schlecht nicht sein. Seht ihr denn wirklich nicht, dass Gott wieder und immer naht? Er ist doch der „Ich bin“.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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