Dies Domini – Zweiter Sonntag der Osterzeit – Weißer Sonntag, Lesejahr A
Wer dieses Bild, das Caravaggio anfangs der Neuzeit liebenswürdiger Weise für das heutige Sonntagsevangelium zur Illustration gemalt hat, nämlich die Begegnung des Didymus genannten Apostels Thomas mit dem Auferstandenen, in dem er in unerhörter Deutlichkeit und Härte die Finger des Apostels zeigt, wie sie in der Seitenwunde des Herrn geradezu bohren, einmal gesehen hat, wird es nicht wieder vergessen. In meisterlicher Weise im Spiel des Lichts und der Schatten stehen in unglaublicher Konzentration drei Männer um den ganz gelassenen und doch zugewandten Jesus, der seine Seite entblößt und selbst die Hand führt, mit der Thomas von seinen Zweifeln geheilt wird, weil er selbst seine Hand in die Seite des gekreuzigten und doch lebendigen Christus legen kann. Es ist eine ungemein naturalistische und doch durch und durch künstlerisch geprägte Sichtweise, in der man die Haut Jesu sich wie ein Augenlid abheben sieht und doch in jedem Moment des Schauens erkennt, wie dies ein dichtes Zeichen und Abbild einer nicht geschauten, sondern geglaubten Wirklichkeit ist. Das Bild ist erschütternd und genau zu diesem Zweck gemalt, zur Erschütterung des Betrachters in seiner Wahrnehmung. Mag sein, Caravaggio dient es zur Illustration der leiblichen Dimension der Gegenreformation gegen die bloß fromm-seelische Weltanschauung der Reformatoren. Vor allem aber ist frappierend, wie es heute für uns den Sinn der Schrift erschließt: Ich selbst, der Auferstandene, führe Deine Hand, Du Zweifler, damit Du glaubst und damit all die selig sein können, die nicht sehen und doch glauben. An uns ist es dann, zu antworten und ihm zu sagen:
„Mein Herr und mein Gott.“
Es ist diese Hand, mit der der auferstandene Jesus uns selbst zum Glauben führen will, die allein in der Lage ist, uns in das Bekenntnis des Kirchenvaters Tertullian einstimmen zu lassen:
„Gottes Sohn ist gestorben: das ist glaubhaft, weil es eine Torheit ist. Er ist begraben und wieder auferstanden: das ist ganz sicher, weil es unmöglich ist.“
Und nur an dieser Hand Jesu, die unsere Hand zur „Erkenntnis“ führt, kommen wir zum Sprung über Lessings breiten, garstigen Graben, der sich zwischen uns und den Glauben legt, weil wir wissen, dass wir immer nur an die Zeugen von damals herankommen mit aller historisch-kritischen Bemühung, niemals aber an die den Glauben auslösende Begegnung mit dem Gottessohn selbst. Und hier kommt Caravaggio ins Bild, der diesen Moment der innigsten und wohl auch für den Gottessohn selbst schmerzhaften Begegnung des Menschen mit der göttlichen Sphäre wie in einem Brennglas festgehalten hat: wir brauchen die sinnliche Erfahrung der göttlichen Zuwendung zu uns und wir können sie doch nicht bekommen. Was uns bleibt, ist die Erinnerung, dass es so war: ein Mensch legt seine Hand in die Seite des Auferstandenen und die Kirche hört nicht auf, davon Zeugnis zu geben, bis auf den heutigen Tag.
Natürlich, wenn wir heute mit unseren kleinen Flaschen den großen Fluss des Geistes abfüllen wollen, dann wird immer eine Menge verlorengehen. Aber solange wir es nicht mit Sieben versuchen, an denen die Löcher das wichtigste sind, bleibt vielleicht doch etwas hängen: Auch in Tagen der Pandemie, wie sie uns heute vor Herausforderungen stellt, von denen wir vor drei Monaten noch nichts ahnten, können wir doch unsere Klage vor Gott bringen, der uns in einem fort vor Aufgaben stellt, die zu schwer sind. Menschen – und wir denken dabei einmal nicht nur an die schrecklichen Verhältnisse in manchen europäischen (!) Flüchtlingslagern, sondern einfach an das nächstgelegene Pflegeheim – leiden, leiden ganz unerträglich, ohne dass menschliche Bosheit entscheidend mit im Spiel ist. Warum? Jedenfalls doch hoffentlich nicht, damit Gott uns einen „kleinen Schubs“ verpassen kann, wie ein süddeutscher Oberhirte ganz unerträglicher Weise meinte. Wenn eines in der Geschichte des Ringens des Menschen um sein Gottesbild deutlich geworden ist, dann doch wohl, dass wir die Finger von billiger Instrumentalisierung angeblich göttlichen Willens lassen sollten. Kann man sich einen liebenden Gott vorstellen, der fast ganz Lissabon mit einem Erdbeben zerstört, wohl auch so eine Art „Schubs“, um am darauffolgenden Tag, als sich die Überlebenden in der einzigen stehengebliebenen Muttergottes-Kirche versammeln, um für ihre Rettung zu danken, diese auch noch über ihnen einstürzen zu lassen? Und wollen wir uns einen den Menschen zugewandten Gott vorstellen, der sich eines Virus bedient, der unzählige Menschen, vor allem Alte, Kranke und Hilfsbedürftige dahinrafft, um den übriggebliebenen zuzurufen: bleibt nicht stehen, geht voran?
Wir werden wohl um die Erkenntnis nicht herumkommen, dass der Graben garstig bleibt, und auch, dass wir selbst an der Hand des liebenden Gottessohns nicht vor brutaler Direktheit gefeit sind. Denken Sie auch in der kommenden Woche daran, wenn Sie der Ärger mit Masken und die Konfrontation mit Einsamkeit und Leid verzweifeln lassen will: Es muss einen liebenden Gott geben, weil es absurd ist. Absurd wie der Tod am Kreuz. Vertrauen wir auf Ostern, aber rechnen wir nicht in kleiner Münze damit.
Katharina Nowak
Author: Katharina Nowak
Katharina Nowak ist Diplom Theologin. Sie studierte in Bonn und arbeitet seit 2009 als theologische Assistentin bei der Katholischen Citykirche Wuppertal.
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