Ein Toter lebt wieder – und fährt in den Himmel auf. Was soll man von Menschen halten, die so etwas behaupten? Erzählen können die viel, diese elf Männer und ein paar Frauen damals in Galiläa. Unglaublich. Da muss doch etwas dahinter stecken … Was glauben Sie denn?
Verschwörungstheorien entstehen auf dem Boden komplexer Wirklichkeiten, die sinnlos scheinen. Sinnlosigkeit aber kann der Mensch nicht ertragen. Das menschliche Gehirn will auch in zufälligen Formen Muster zu erkennen. Stellen Sie sich zum Beispiel zwei Punkte vor, durch deren Mittelachse ein senkrechter Strich geht, unter dem sich im rechten Winkel ein weiterer Strich befindet. Was sehen Sie? Sie sehen sofort ein Gesicht, obwohl es nur zwei Punkte und zwei Striche sind. Unser Gehirn nutzt die im Leben gemachten Erfahrungen, um auf dieser Basis Vorurteile auszuprägen, die Zuordnungen und Entscheidungen vereinfachen. Da ist oft von Vorteil. Das Vorurteil, bei einer roten Ampel anhalten oder stehen bleiben zu müssen, kann lebensrettend sein. Andernfalls müsste man immer einen ganzen Entscheidungsprozess durchlaufen. Bis der beendet wäre, hätte manch einer seine persönliche Himmelfahrt angetreten …
Eine rote Ampel setzt keinen einfachen Reflex in Gang, sondern gibt nach optischer Wahrnehmung langwelliger Strahlung auf der Netzhaut ein elektrisches Signal an das Gehirn weiter, das seinerseits im Speichervorrat „rot“ mit „Gefahr“ assoziiert und auf dieser Basis einen elektrischen Impuls initiiert, der über die Nervenbahnen in die Fußregion weitergeleitet wird, wo Muskeln einen Bremsvorgang auslösen – und das ist nur die oberflächliche Beschreibung des Vorgangs. Dies Komplexität wird aber nicht reflektiert. „Rot“ heißt „Bleib stehen!“. Vorurteile sind also nicht per se schlecht. Allerdings nähren sie ein Vorurteil, dass die Einfachheit für alle Situationen im Leben zu gelten hätte.
Da kommt dann das Virus SARS-CoV-2. Wir nennen es freilich „Corona“. Das klingt nicht so gefährlich, eher wie eine gute Freundin. Man hört zwar, dass Corona krank machen soll. Einige sollen damit oder daran gestorben sein. Aber hat man die je gesehen? Kaum jemand kennt Erkrankte. Stattdessen schränken die Regierungen Grundrechte ein, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. Was soll das also? Weil das Verständnis für die Komplexität des Virus fehlt, wird nach einfachen Mustern gesucht – und man sieht rot. Die Regierungen, so raunt man, verfolgten einen geheimen Plan. Dabei ist eigentlich klar, dass solch unterkomplexe Verschwörungen schon im Ansatz scheitern müssen, wenn man sie so leicht entlarven kann … Vielleicht aber verfolgen die vermeintlichen Offenleger ihrerseits eigene Ziele? Könnte doch sein … das wird man doch wohl noch sagen dürfen … Sie sehen: Verschwörungstheorien sind eine Falle. Mehr nicht. Zu einfach für ein lebenstaugliches Vorurteil. Sie taugen nichts.
Nun muss man nicht an die Himmelfahrt Christi oder seine Auferstehung von den Toten glauben. Das alles widerspricht menschlicher Vorerfahrung. Das Vorurteil steht fest. Gerade deshalb sollte man genauer hinschauen. Was treibt die Frauen und Männer, die davon berichten? Setzt jemand für eine Absurdität sein eigenes Leben aufs Spiel? Verschwörungstheoretiker meiden die letzte Konsequenz. Wenn es eng wird, machen sie sich bereitwillig vom Platz. Sie sind bloß Muster ohne Wert. Was auch immer die Frauen und Männer damals in Galiläa und Judäa genau erfahren haben: Die Zeuginnen und Zeugen der Auferstehung haben selbst ihre Zweifel. Sie ringen um Verstehen, erkennen erst langsam. Dann erst reden sie davon – und stehen oft bis zur letzten Konsequenz mit ihrem Leben für ihre Botschaft ein, ohne andere zu gefährden. Wo ist da der Sinn? Auch der Glaube ist komplexer, als es im ersten Vorurteil scheint.
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der WZ vom 15. Mai 2020
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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