Es ist wieder so weit. Die politischen Entscheidungsträger in Stadt, Land und Bund mussten angesichts der in die Höhe schnellenden Zahlen von Menschen, die sich mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert haben, Entscheidungen treffen. Ob die Entscheidungen die wirklich richtigen sind, wird man in einigen Wochen sehen. Wenn die Infektionszahlen sinken, haben die Entscheiderinnen und Entscheider alles richtig gemacht. Wenn sie nicht sinken, waren sie falsch. Das Land und die Stadt jedenfalls werden vorläufig zumindest in Teilen ruhig gestellt. Weihnachtmärkte werden nun endgültig abgesagt. Theater, Kinos, Gastronomie schließen. Auch der Hl. Martin wird nicht so reiten, wie es einmal geplant war. Es bleibt die Hoffnung, dass seine Botschaft, Licht ins Dunkel zu bringen, trotzdem aufscheinen wird. Es gibt immer eine Hoffnung wider alle Hoffnung … Was glauben Sie denn?
Zum 2.11.2020 greifen nun die einschneidenden Maßnahmen, um das Virus wieder beherrschbar zu machen. Das Corona-Virus ist tückisch. Man sieht es nicht. Auch die, die schwer erkrankt im Krankenhaus liegen oder gar auf Intensivstationen beatmet werden, sieht man nicht. Sicher: aus Mittelalterfilmen kennt man das Szenario, wenn Pestkranke röchelnd auf der Straße zusammenbrechen und mit letztem Atemzug hustend die pestverseuchten Lungen ins Angesicht der Vorbeieilenden entleeren. Wenn das heute so wäre … niemand würde an Großhochzeiten, Partys, mehr oder weniger heimliche Familienbesuche denken. Die prekären Wohnverhältnisse würde man verlagern – wahrscheinlich vor die Tore der Stadt, so wie damals in Venedig, wo man heute noch auf der Pestinsel nahe des Lido das Lazaretto Vecchio besichtigen kann. Aus den Augen aus dem Sinn … Wuppertal aber hat keine Inseln. Selbst wenn man die Infektionsherde lokal eingrenzen könnte – das Virus hält sich nicht an Postleitzahlen. Wir stecken eben alle in einem Sack.
Bevor am 2. November das Ende ein neuer Anfang sein soll, stehen zwei große christliche Festtage an. Die evangelischen Geschwister im Glauben feiern am 31. Oktober den Reformationstag, Katholiken begehen am 1. November das Allerheiligenfest. Beide Feste sind voller Hoffnung. An Allerheiligen wird die Freude über die Auferstehung gefeiert. Das erinnert daran, dass das irdische Leben schon von dieser Auferstehungsfreude geprägt sein soll. Der Himmel ist nicht fern, er ist um uns herum. In diesem Geist konnte wohl auch Martin Luther bei aller Skepsis gegenüber einem ausartenden Heiligenkult sagen, dass er heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen würde, wenn morgen die Welt unterginge. Es ist die Hoffnung, die die Menschen aufrecht hält. Selbst die dunkelste Endzeitvision hält einen Hoffnungsschimmer bereit, an dem man sich aufrichten kann. So beschwört Jesus im Matthäusevangelium in dramatischer Weise den Tag des Herrn, an dem die Sterne vom Himmel fallen und die Welt dem Untergang geweiht ist. In dem ganzen Weltuntergangsszenario steht dann aber der Satz:
„Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, erkennt ihr, dass der Sommer nahe ist.“ (Mt 24,32)
SARS-CoV-2 ist tückisch. Viele mögen eine Infektion kaum merken. Manche leiden schwer unter der Erkrankung, einige sterben gar. Es ist zynisch, Menschenleben statistisch zu verrechnen und sich so die Situation schön zu denken. Es ist Zeit, neu zu lernen, was Solidarität ist. Es ist Zeit, das Leben neu zu lernen – ein Leben, das wir feiern werden. Irgendwo ist das Loch in dem Sack, in dem wir alle sitzen. Und wenn keins da ist, müssen wir gemeinsam eins machen. Fürchtet euch nicht. Wir schaffen das. Seht ihr nicht, dass unter den entlaubten Herbstästen schon die Knospen für das nächste Frühjahr warten? Der Winter wird kommt. Ihr aber lernt aus dem Zeichen der Bäume. Wir werden das Leben feiern, wenn wir jetzt gemeinsam handeln!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 30. Oktober 2020
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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