Dies domini – Sechster Sonntag der Osterzeit, Lesejahr B
Es ist auch schon in der Vergangenheit nicht immer vergnügungssteuerpflichtig gewesen, sich als Katholikin bzw. als Katholik in der Öffentlichkeit zur Rede zu stellen. Je nachdem, ob der Vatikan, der Papst oder einer oder mehrere Bischöfe meinten, die reine Lehre könne die gelebte Realität verändern, saß man als Mensch römisch-katholischer Provenienz mit im selben Sack. Wer jemals, wie es für die Arbeit der Katholischen Citykirche Wuppertal üblich ist, die schützenden Kirchenmauern verlässt und sich dorthin bewegt, wo die Menschen nun mal halt sind – auf die Straßen und Plätze der Stadt, in die Kaffeehäuser und in die sozialen Medien des Internets – kann da bisweilen was erleben. Wenn die Kirche dem Leben dient – und das kommt durchaus vor – dann ist man willkommen; dient sie aber eher sich selbst, wird der Glaube hart geprüft. Ob Päpste, Bischöfe und Priester das wissen, was sie da manchmal anrichten? Von der Kathedra lehrt es sich einfach, wo das Leben mit seinen Dilemmata komplexe Wirklichkeiten bereithält, die sich nur selten nach dem Muster schwarzer Striche auf weißem Grund ordnen lässt. Noch schlimmer aber wird es, wenn die behauptete Lehre keinen Widerhall im Leben und Handeln der Lehrenden selbst findet, wenn Wort und Tat sich sogar diametral entgegenstehen. Was etwa soll man von einer Kirche halten, die wiederverheiratet Geschiedene mit bebender Beharrlichkeit der Sünde zeihen, ohne sich auch nur einmal die Mühe zu machen, die dahinter liegenden Geschichten anzuhören, gleichzeitig aber Kleriker mit speziellen sexuellen Praktiken weiter hinter den Altären zelebrieren lässt, weil es nicht strafrechtlich Relevantes gegeben hätte. Was ist von einer Kirche zu halten, die die eigenen Brüder auch bei schwersten Verfehlungen mit dem nebulösen Mantel scheinheiliger Barmherzigkeit umhüllt und gleichzeitig jene Formen der Liebe, die nicht der eigenen Definition entsprechen, die man zwar voreilig als göttlich gegeben bezeichnet, sich aber bei näherem Hinsehen als doch menschengemachter entpuppt, als es den sich gottnah Wähnenden lieb ist, als Sünde verflucht – ja, verflucht! Wo nämlich der Segen versagt wird, nimmt der Fluch den leeren Platz ein …
Bei alldem gibt die Kirche vor, immer und stets im Auftrag des Herrn unterwegs zu sein und sein Werk treu zu verwalten. Das ist allein schon deshalb merkwürdig, weil sich der Herr daselbst in seiner irdischen Zeit immer wieder dadurch ausgezeichnet hat, dass er, um der Menschen willen noch jede Regel zu brechen bereit war. Nicht, dass er die Regeln als solches verachtete; im Gegenteil: er setzte sie nicht außer Kraft, sondern vervollkommnete sie dadurch, dass er die Verhältnisse klarstellte: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Die Niedrigen müssen aufgerichtet, die Hungrigen gesättigt und die Kranken geheilt werden. Wenn das mit den Regeln geht – gut! Wenn die Aufrichtung, sie Sättigung oder die Heilung nur um den Preis eines Regelbruchs möglich ist, dann muss im Zweifel die Regel weichen. Deshalb sagt er denen, die sich selbst ermächtigen, zu, ihr Glaube habe ihnen geholfen, denen aber, die noch ermächtigt werden müssen, spricht er die Vergebung der Sünde zu. Die Sünde nämlich ist jene Macht, die von Gott trennt und dadurch die Menschen klein und niedrig hält. Wo diese Macht gebannt wird, wird Aufrichtung, Sättigung und Heilung möglich.
Sehr schön kommt diese aufrichtende Aufrichtigkeit Jesu im Evangelium vom sechsten Sonntag der Osterzeit im Lesejahr B zum Ausdruck. Dort definiert Jesus seine Beziehung zu den Seinen neu. Er, der Lehrer, den Christinnen und Christen nachösterlich als wahren Menschen und wahren Gott bekennen, erhebt die Seinen zu, nicht mehr Knechte, sondern Freunde zu sein:
Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Johannes 15,14f
Der Knecht ist unmündig. Seine Haltung ist die kniende. Mit einem Freund hingegen kommuniziert man auf Augenhöhe. Vor Freunden gibt es kein Geheimnis. Deshalb hat Jesus den Seinen auch alles mitgeteilt, was er empfangen hat.
Die neue Beziehungsdefinition Jesu aber ist nicht harmlos. Sie basiert auf einer Voraussetzung: Freund Jesu ist, wer tut, was er aufträgt. Tun das aber nicht genau diejenigen, die heute noch vorgeben, jene Regeln zu lehren, die scheinbar auf Jesus selbst zurückgehen?
Das könnte stimmen, wenn die Regeln tatsächlich auf Jesus zurückgehen. Nun ist eine seiner Hauptregeln – neben der Gottes- und der Nächstenliebe – aber eben jenes Wort, dass der Sabbat für den Menschen und nicht der Mensch für den Sabbat da sei (vgl. Markus 2,27). Jede Regel hat in sich nur dann einen Wert, wenn sie dem Menschen dient und ihn nicht knechtet. Jede Lehre und jede Regel müssen sich an dieser Regel Jesu messen lassen. Nicht ohne Grund fragt Jesus die Menschen, was sie wollen, dass er ihnen tun soll …
Die echten Freundinnen und Freunde Jesu wissen das. Das ist die Freiheit der Christenmenschen, die eben weder mit Beliebigkeit noch mit momentanem Befindlichkeitskult verwechselt werden darf. Dass es darum nicht geht, macht Jesus schon deutlich, wenn er im Evangelium sagt:
Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Johannes 15,13
Es geht um Hingabe. Die Freundschaft Jesu ist eben nicht eitel, sondern am Wohl der anderen orientiert – unter Umständen bis zu Selbsthingabe.
Die mag der eine oder andere, der auch heute noch auf vorgeblich frommen, letztlich aber oft unterkomplexen Regeln beharrt, für sich sogar in Anspruch nehmen. Dann wird jede Kritik gerne als Angriff auf das Heilige abgewehrt, die ja zu erwarten sei. Diese Art der Kritikunfähigkeit macht letztlich immun gegen jede Form der Menschlichkeit. Diese Immunität wird greifbar, wenn der Buchstabe über das Leben herrscht und die Lebenden zu Mägden und Knechten der Buchstaben werden. In Bleiwüsten aber blüht kein Leben mehr, der zum Buchstaben erstarrte Glaube der Katechismen treibt keine Blüten mehr – von Früchten ganz zu schweigen …
Die Früchte aber sind das, was dem Leben Geschmack gibt, ja, was nach Leben schmeckt. Deshalb mahnt Jesus die Seinen:
Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt. Johannes 15,16f
Es sind also die Früchte, die erkennen lassen, wo die wahren Freunde Jesu sind. Diese Früchte des Lebens aber sind: Aufrichtung, Sättigung, Heilung. Wo aber die Sünde aufgerichtet wird, können keine Früchte wachsen. Vielleicht haben viele von denen, die vorgeben, sie wüssten, was Gott will, auch einfach nur eine andere wichtige Weisung Jesu missverstanden. Als der als vom Kreuzestod Auferstandener sagte:
Denen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; denen ihr sie behaltet, sind sie behalten. Johannes 20,23
meinte er das wohl nicht als willkürliche Ermächtigung, sondern als Warnung! Wo Menschen nämlich die Sünden behalten werden – oder schlimmer: Wo Menschen zur Sünde gemacht werden, weil sie der eigenen Vorstellungswelt widersprechen – da stellen sich die so Handelnden zwischen Mensch und Gott. Insofern die Sünde die Trennung zwischen Mensch und Gott ist, machen sich die so Lehrenden also selbst zur Sünde! Ob ihnen das bewusst ist, dass sie die Früchte Gottes verderben? Deshalb gibt es zum Erlass der Sünde keine Alternative. Die Menschen sollen zu Gott! Deshalb sündigt nicht, sondern richtet auf, sättigt und heilt! Dann – aber nur dann! – seid ihr Freunde Gottes! Allen anderen Freunden Gottes aber sei nach einem Wort des Herrn geraten:
Wenn man euch nicht aufnimmt und eure Worte nicht hören will, geht weg aus jenem Haus oder aus jener Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen! Matthäus 10,14
Lasst die Sünde also ruhig links liegen und sucht den Frieden. Segen ist besser als der Fluch. Sucht euch Segen, denn Gott will Früchte sehen!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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