Dies domini – Vierter Adventssonntag, Lesejahr C
Stille ist die Sache des göttlichen Geistes nicht – wenigstens nicht, wenn man seinem Wehen in den Worten der Heiligen Schrift folgt. Wenn Gott spricht, sich mitteilt, im Flügelschlagen der Engel oder im Wehen seines Geistes dann wird es laut. Wie Donnerhall ist seine Stimme, wie das Rauschen mächtiger Wassermaßen, wie Sturm und Feuerzungen. Gut – wenigstens der Prophet Elija macht die Erfahrung, dass Gott auch im leisen Säuseln ist (vgl. 1 Könige 19,13). Warum sollte Gott auch nicht in darin sein? Er ist doch in allem, was atmet, in allem, was ist gegenwärtig, verdankt sich doch alles Sein seinem schöpferischen Wort. Aber selbst in der Erzählung vom Propheten Elija fällt auf, dass es nicht heißt, Gott sei im Säuseln. Vielmehr muss der Prophet, der gegenüber den Baalspriestern mächtige Zeichen im Auftrag des Höchsten sprechen ließ (vgl. 1 Könige 18), dass das alleine eben nicht reicht. Gott ist mehr als Naturgewalt. Er ist mehr als Donnerhall, Wasserrauschen und Feuersgluten. Er ist nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. Wer hier das eine gegen das andere ausspielt – und war egal von welcher Richtung – der versucht sich an einer Zähmung des Höchsten. Und so spricht Gott in der Elijah-Erzählung erst, als das Säuseln verklungen ist und Elijah seine Lektion gelernt hat:
Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln. Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel, trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle. Da vernahm er eine Stimme, die ihm zurief: Was willst du hier, Elija? 1 Könige 19,12-14
Tatsächlich ruft auch hier die Stimme, die zu Elija spricht. Sie flüstert nicht. Gott teilt sich vernehmlich mit. Wo er wahrgenommen wird, mag der Mensch staunend schweigen – und darf es doch nicht zu lange, weil die von Gott Begeisterten nicht schweigen können.
Kann es da verwundern, wenn Elisabet, die die Mutter Johannes des Täufers werden wird, nicht schweigen kann, als Maria zu ihr kommt? Im Evangelium vom vierten Adventssonntag im Lesejahr C heißt es deshalb:
Als Elisabet den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib. Da wurde Elisabet vom Heiligen Geist erfüllt und rief mit lauter Stimme: Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Lukas 1,41f
Das laute Rufen ist doch angesichts der Umstände, die Lukas schildert, an sich doch eigentlich merkwürdig. Maria geht in das Haus des Zacharias und der Elisabet. Es scheinen nur Maria und Elisabet anwesend zu sein. Ein verhältnismäßig kleiner, geschlossener Raum, zwei Frauen, die einander kennen, ein Gruß – all das legt kein lautes Rufen nahe. Dabei ist Lukas in seiner Darstellung drastisch, wenn er von einer κραυγὴ μεγάλη (gesprochen: kraugè megále) spricht. Κραυγή (kraugé) meint dabei wörtlich mehr Geschrei als lautes Rufen und das wird durch das Adjektiv μεγάλη (megále) – „groß“ – noch verstärkt. Elisabet macht also ein großes Geschrei. Sie schreit mehr als sie ruft:
Gesegnet bist du unter den Frauen und gesegnet ist die Frucht deines Leibes. Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, in dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Und selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ. Lukas 1,42-44
Elisabet wird offenkundig mit Leib und Seele ergriffen. Sie ist mit ihrer ganzen Existenz erfüllt von der Gegenwart des Geistes – ausgelöst durch die Ankunft Mariens. Und sie kann nicht schweigen. Sie redet nicht, nein, sie schreit den Segen heraus – ganz nach Art der Propheten.
Das steht in einem bedeutsamen Gegensatz zum Schicksal ihres Mannes Zacharias, der noch mit Stummheit geschlagen ist. Er konnte nicht glauben, dass Gott ihm noch einen Sohn schenkt. Da hilft es auch nichts, dass er Priester ist (vgl. Lukas 1,5). Der Status an sich ist nichts, wenn die Offenheit für die Botschaft fehlt. So wird nicht er zum ersten Propheten im Lukasevangelium, sondern sein Frau Elisabet. Sie ist es, die nach Prophetenart die Botschaft Gottes mit lauter Stimme – nein, mit lautem Geschrei verkündet. Echte Propheten und Prophetinnen scheren sich dabei nicht um die Umstände. Nicht ohne Grund lautet der Auftrag im 2. Timotheusbrief:
Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung! 2 Timotheus 4,2
Elisabet greift dieser Weisung Jahrzehnte früher schon vor. Sie ist die erste Prophetin, die erkennt, dass das Wort Gottes in jeder Hinsicht Fleisch werden und immer neu Gestalt annehmen will (vgl. Johannes 1,14).
Ist es nicht bemerkenswert, dass es im Lukasevangelium am Anfang und am Ende die Frauen sind, die das Evangelium verkünden? Am vierten Adventssonntag im Lesejahr C ist es Elisabet, am Ostersonntag wird es Maria von Magdala sein. Merkwürdig, dass die römisch-katholische Tradition diese Prophetien nicht so recht würdigt. Der Priester Zacharias jedenfalls bleibt stumm. Er muss erst sehen, um glauben zu können. Elisabet ist da längst weiter.
Gott teilt sich mit – durch Männer und durch Frauen. Wo er spricht, spricht er unüberhörbar. Vielleicht ist sie wieder da, die Zeit der Propheten und Prophetinnen. Es wird Zeit, dass sie wieder laut rufen, vielleicht sogar schreien – gerade jetzt, wo die Kirche stumm zu werden droht …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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