Der Krieg ist monströs. Jeder Krieg ist eine Verachtung des Lebens. In der Ukraine wird die Sinnlosigkeit des Krieges mit Wucht vor Augen geführt, wenn Städte, die gestern noch vor Leben strotzten und pulsierten, dem Erdboden gleich gemacht werden. Wofür? Warum? Fragen, die keine Antwort finden und die Ohnmacht nur noch größer erscheinen lassen. Die Folgen des Krieges, den Putin entfesselt hat, sind auch hier spürbar – zumindest scheint es so. Die Mehl- und Sonnenblumenölregale sind leer. Sind das schon Kriegsfolgen? Wohl kaum. Was glauben Sie denn?
Sicher ist die Ukraine ein Hauptexporteur für Weizen und Sonnenblumenkerne – aber die ausbleibende Ernte, die zu spürbaren Einbußen führen würde, findet erst dieses Jahr statt. Die Krise kommt erst noch. Das gilt auch für die Preise für Energieträger, deren Erhöhung nahezu alle betrifft. Noch sind die Lager voll. Noch ist Zeit zu handeln. Und trotzdem ist die existentielle Angst in der Gesellschaft mit Händen greifbar. Hamsterkäufe haben wieder Konjunktur – und verstärken die sich anbahnende Hysterie noch. Der moderne Mensch westlicher Prägung kann mit leeren Regalen kaum leben.
Hier liegt wohl der Grund für das schleichende Gefühl der Ohnmacht, das die Menschen auf die Straßen und in die Friedensgebete treibt. Die sind sicher große Zeichen der Solidarität. Allerdings wird sich der Krieg durch noch so viele in Sicherheit gesprochene kraftvolle Gebete und sprachgewaltig vorgetragene Friedensforderungen kaum beenden lassen. Wer glaubt, gemachte Worte allein würden Realitäten schaffen, erliegt einem magischen Missverständnis: Nur echte Magier könnten allein mit Worten Wirklichkeiten werden lassen; alles andere ist bloß Illusion. Es wäre natürlich göttlich, wenn das gelänge. Spätestens seit der Aufklärung aber sollte doch eigentlich klar sein, dass es Wunder der magischen Art nicht gibt.
Sicher: Das kraftvolle Gebet und die machtvolle Friedensdemonstration geben wenigstens das Gefühl, etwas getan zu haben. Wie lange aber wird das anhalten: Bis die Regale wieder voll sind? Bis das Fernsehen keine Flüchtlingsschicksale mehr in unsere Wohnzimmer trägt? Werden wir noch bereit sein, mit unserem Schicksal für den Frieden einzutreten und in Folge etwa eines Öl- und Gasembargos hohe Energiekosten in Kauf zu nehmen, wenn der letzte Brennpunkt gesendet wurde und wir der Bilder der Zerstörung überdrüssig geworden sind?
Am 25. März feiert die Kirche das Hochfest „Verkündigung des Herrn“. Neun Monate vor Weihnachten wird das Einbrechen des Engels in die irdische Wirklichkeit der späteren Mutter Jesu vergegenwärtigt. Nichts ist mehr, wie es war. Nicht nur deshalb lauten der Gruß des Engels:„Fürchte dich nicht!“. Die aber vernimmt die Botschaft von der bevorstehenden Empfängnis eines Kindes mit unverhohlener Skepsis:
„Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne“ (Lukas 1,34).
Sie weiß, worum es geht; deshalb weiß sie auch, was eigentlich nicht geht. Der Engel aber hebt zu einer Erklärung an: Gott wird einbrechen, der Geist über sie kommen und sie überwältigen – so die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes, das Lukas verwendet. Was auch immer damals geschah: Maria ergibt sich letztlich in ihr Schicksal. Sie nimmt es an – nicht ohne ohnmächtigen Trotz. Wenig später nämlich wird sie davon singen, dass Gott mit seinem Arm Gewalt ausübt und die zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind und dass er die Mächtigen vom Thron stößt und die Niedrigen erhöhen wird (vgl. Lukas 1,51f). Das Gute wird siegen – wenn wir unser Schicksal annehmen und handeln, wenn es sein muss aus reinem Trotz. Die große Hilfsbereitschaft den Geflüchteten gegenüber ist ein gutes und starkes Zeichen. Möge es nicht abebben, wenn die Bilder verschwinden. Es ist der Trotz, der die Ohnmacht stark macht. Fürchtet euch nicht!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 25. März 2022.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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