Dies domini – 32. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Ein Blick in jene Bücher, die in zahlreichen Kirchen die Glaubenden einladen, ihre Bitten an Gott hineinzuschreiben, offenbart nicht nur ein kindliches Gottvertrauen; in vielen Fällen scheinen sich die Bittenden Gott offenbar auch als Erfüller dringendster Wünsche vorzustellen. Wie ein Super-Weihnachtsmann soll er die niedergeschriebenen Wunschzettel wohl abarbeiten. Die so niedergeschriebenen Gebete scheinen dann eher Bestellzettel zu sein, deren Order der göttliche Lieferant dann auch gefälligst zu erledigen haben. Sicher zeigen die niedergeschriebenen Bitten oft intimste Sorgen und lassen schwere Schicksale erahnen. Was aber, wenn die erbetene Gabe nicht zu bekommen ist, was, wenn die Gebet scheinbar unerfüllt bleiben. Straft das nicht Jesus selbst Lügen, der doch verheißen hat:
Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet! (Mt 7,7)
Tatsächlich beinhaltet ein solch naives Gebetsverständnis den Keim zu jener Frage, die auch als Theodizee bekannt ist: Warum lässt Gott, der doch als allmächtig bekannt wird, Leid und Unglück zu? Warum beendet er die Kriege nicht einfach?
In der Tat: Wenn das Verhältnis von Gott und Welt so wäre, wie es dem Gebetsverständnis vieler zugrunde liegt, die ihr Leid in die Fürbittbücher schreiben, dann wäre die Frage nur allzu berechtigt. Warum greift er nicht ein?
Denkt man dieses Gottesbild zu Ende, stellt sich aber direkt die Frage, warum es überhaupt Tod und Leid an sich in der Welt gibt. Zweifellos sind Tod und Leid aber faktisch präsent. Bestärkt das nicht die Ansicht jener, die gerade deshalb die Existenz Gottes leugnen?
Bei genauerem Hinsehen löst die Leugnung Gottes keine einzige Frage; mehr noch: sie macht erlittenes Leid keinen Deut sinnvoller. Der Gedanke ist also ebenso kurzgeschlossen wie der des göttlichen Wünscheerfüllers. So oder so wird die Frage der Bewältigung der großen und kleinen existentiellen Probleme, die sich dem in seinem Leben stellen, wohl kaum zu beantworten sein. Der Mensch ist offenkundig auf sich selbst gestellt. Diese Erkenntnis gilt auch und gerade für jene, die glauben. Wie anders wäre sonst die Reaktion jenes Mannes zu erklären, von dem in der ersten Lesung am 32. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C die Rede ist. Die Lesung erzählt vom Schicksal der Makkabäerbrüder, die ihr Leben ganz in den Dienst Gottes stellen und sich den hellenistischen Widersachern entgegenstellen. Deren König Antíochus versucht sie auf zynische Weise in die Knie zu zwingen – ähnlich, wie es auch heute noch autokratische und diktatorische Herrscher in aller Welt tun. Man muss nur in den Iran schauen, wo Frauen mutig für ihre Rechte eintreten, und ihr Leben dabei riskieren, oder in die Ukraine, wo Zivilisten bombardiert und zivile Infrastruktur von den russischen Aggressoren sinnlos zerstört wird, mit dem Ziel, wohl mit dem Ziel, den Willen der Bevölkerung zu brechen. Zu allen Zeiten haben maßlose Herrschen in ihrer Menschenverachtung den Freiheitsdrang brutal zu vernichten gesucht. Kein Bitten und Beten hat da geholfen. Nie kam eine Hand aus dem Himmel, die gerettet hätte. Ist Gott, so er denn ist, nicht ungerecht?
Die Antwort der Brüder in der ersten Lesung vom 32. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C auf die Drohungen des Königs zeigt eine andere Haltung:
Nichts kann sie von der Erfüllung der Gesetze der Väter abhalten. Das ist der höchste Wert. Es sind die Gesetzte, die die Väter von Gott erhalten haben. Nicht Gott ist also der Erfüller, sondern der Mensch soll die Gesetze des Höchsten erfüllen. Wer so spricht, wie die Makkabäerbrüder, ist gerade nicht naiv, sondern standhaft. Sie wissen nicht, ob er Mut von Gott belohnt wird. Sie wissen noch nicht einmal, ob Gott ist. Sie vertrauen darauf, weil die Geschichten der Vorväter dieses Vertrauen begründen: Gott rettet! Aber eben nicht immer so, wie es gewünscht ist. Es bedarf eben auch der Mitwirkung des Menschen, der die Gesetze Gottes erfüllt.
Der Mensch wird also ermächtigt, an der Erfüllung des göttlichen Willens mitzuwirken. Gerade darin liegt ja seine Ebenbildlichkeit: Er ist von Gott als Stellvertreter eingesetzt worden, um an seiner Statt in dieser Welt zu wirken (vgl. Gen 1,28). Deshalb ist das Leben mit all seinen großen und kleine existentiellen Herausforderungen und Problemen eine echte Zumutung – und das, wie die zweite Lesung vom 32. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres C andeutet, im wahrsten Sinn des Wortes. Dort nämlich wird ein Bittgebet der besonderen Art formuliert, wenn es heißt:
Jesus Christus selbst aber, unser Herr, und Gott, unser Vater, der uns liebt und uns in seiner Gnade ewigen Trost und sichere Hoffnung schenkt, ermutige eure Herzen und gebe euch Kraft zu jedem guten Werk und Wort. (2 Thess 2,16f)
Der Mensch, vor allem die Glaubenden, werden aufgefordert und ermutigt, selbst gute Werke und Worte zu tun. Dass das keine frommer Wunsch erbaulicher Banalität ist, zeigt der Schluss der zweiten Lesung:
Aber der Herr ist treu; er wird euch Kraft geben und euch vor dem Bösen bewahren. Wir vertrauen im Herrn auf euch, dass ihr jetzt und auch in Zukunft tut, was wir anordnen. Der Herr richte eure Herzen auf die Liebe Gottes aus und auf die Geduld Christi. (2 Thess 3,3-5)
Dem Betenden wird also durchaus eine göttliche Gabe zuteil: Die Kraft, das Gute zu tun. In ähnlicher Weise äußerst sich auch Jesus selbst. Einige Verse vor dem oben zitierten Jesuswort heißt es nämlich:
Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet. (Mt 6,7f)
Die Betenden beten also nicht ins Leere. Gott erhört sie. Sie erhalten eine Antwort auf ihre Gebete – nur kann die anders sein, als das, was ursprünglich erbeten wurde. Gott handelt in dieser Welt – aber nie ohne den Menschen. So wie Brot nicht vom Himmel fällt, sondern aus dem Zusammenwirken der göttlichen Gabe – nämlich der Frucht der Erde – und der menschlichen Arbeit entsteht, so werden auch Gebete erfüllt, wenn Gott und Beter zusammenwirken. Wer etwa bittet, dass die Partnerin endlich gesund werden möge oder der Sohn endlich mit dem Trinken aufhöre, der empfängt eine Antwort von Gott. Sicher kann die so ausfallen, dass das Erhoffte eintritt; wenn aber nicht, dann kann das Gebet anderes bewirken – vielleicht die eigenen Stärkung, in der Situation standhaft zu sein, die Krankheit der Partnerin mitzutragen und dem saufenden Sohn die Tür nicht zu verschließen und so der vielleicht letzte Halt vor dem Abgleiten zu bleiben.
Es liegt also nicht nur an Gott, wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir sie erhofft haben. Man kann sich auch die Frage stellen, was wir Menschen getan oder nicht getan haben, um diese Welt zu einer besseren zu machen. Gebetet wird jedenfalls nicht nur mit gefalteten, sondern auch mit arbeitenden Händen. Das alles wird nicht unbedingt zur Erfüllung aller Hoffnungen in dieser Welt führen. Auch hier zeigt die Hoffnung der Makkabäerbrüder einen Weg. Kurz bevor er stirbt, ruft der vierte Bruder aus.
Gott hat uns die Hoffnung gegeben, dass er uns auferstehen lässt. Darauf warten wir gern, wenn wir von Menschenhand sterben. Für dich aber gibt es keine Auferstehung zum Leben. (2 Makk 7,14)
Wer zu glauben vermag, dass es eine Hoffnung über den Tod hinaus gibt, kann in dieser Hoffnung noch standhafter sein, weil alle Ungerechtigkeit der Welt vor Gott gerichtet wird. Wer angesichts des Unrechts und Leides der Welt nicht (mehr) zu glauben vermag, hat diese Hoffnung leider verloren. Das Leid wird dadurch nicht sinnvoller. Für Glaubende aber ist es ein Antrieb, in dieser Welt für eine bessere Welt zu wirken. Jeder kleine Schritt ist da ein Schritt nach vorn – und die großen Fortschritte sowieso.
Glück auf,
Ihr Dr. Werner Kleine, PR
Katholische Citykirche Wuppertal
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Lieber Dr. Kleine, danke für den sehr guten Artikel zum 32. Sonntag. Ja, in diese Bücher schauen wir auch sehr oft in den Kirchen. Sie haben da einen sehr wichtigen Beitrag geleistet. Sofort ausgedruckt für kommende Dialogzeiten.
Danke und Grüße Ulla und Udo Mauroschat