Er ist ein schillerndes Phänomen, dessen atmosphärisch-optische Erscheinung die Menschen in den Bann zieht. Wenn sich mit der Sonne im Rücken die Wolken voraus die Lichtstrahlen des Zentralgestirns in den Regentropfen brechen entfaltet der Regenbogen sein Pracht und scheint bei aller Fragilität Himmel und Erde zu verbinden. Das Farbenspiel verschwindet oft genauso schnell, wie es sich entfaltet hat. Physikalisch folgt das Phänomen dem Brechungsgesetz. Alles kann berechnet werden. Die Schönheit des Regenbogens aber ergibt sich aus dem erlebten Spiel der Farben. So ist das mit den Naturgesetzen: Wenn deren theoretische Klarheit ästhetisch erfahren und erlebt wird, geraten selbst hartgesottenen Vernunftmenschen nicht selten wenigsten für einen kurzen Moment ins Staunen. Was glauben Sie denn?
Es ist deshalb kein Wunder, dass das Naturphänomen in vielen Kulturen mit symbolischer Bedeutung aufgeladen wird. Die Ureinwohner Australiens, die Aborigines verehren die Regenbogenschlange als Schöpfer der Welt und aller Lebewesen. Die griechische Mythologie sehen in ihm den Verbindungsweg, mit dem die Göttin Iris zwischen Erde und Himmel reist, während die germanische Mythologie im Regenbogen die Brücke „Bifröst“ sieht, die Midgard, die Menschenwelt, und Asgard, die Götterwelt verbindet. Während des Ragnarök, dem Weltuntergang, wird der Regenbogen zerstört. Der Verlust des Regenbogens bedeutet also nichts Gutes …
Nun ist in diesen Tagen der Regenbogen in aller Munde. Nicht nur alte Kulturen haben aus dem Stauen in dem Himmelsphänomen eine Verbindung von Himmel und Erde erblickt; auch in der Neuzeit spielt der Regenbogen in vielfältiger Weise eine symbolische Rolle, die nicht selten politisch aufgeladen ist: Man denke nur an die Bauernkriege des 16. Jahrhunderts und die Bewegung um Thomas Müntzer, dessen Bewegung der Regenbogenfahne folgte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgte der Weltfriedenskongress mit der „World Peace Flag“ dem Regenbogen. Nicht zuletzt die LGBTQ+-Bewegung hat die Regenbogenfahne als signifikantes und umstrittenes Symbol gewählt. Es ist schon bemerkenswert, welche Aversionen der Regenbogen hier gerade bei manchen, die sich tiefgläubig wähnen, auslösen kann – und das gilt nicht nur für die Quataris, denen man offenkundig während der Fußballweltmeisterschaft 2022 keine bunten Kapitänsbinden zumuten darf und Zuschauer mit regenbogenfarbenen T-Shirts aufgefordert werden, die Farben zu verbergen; auch im christlichen Bereich führt das Aufhängen von Regenbogenfarben – eigentlich als Zeichen der Toleranz gedacht – regelmäßig zu Verwerfungen. Der Regenbogen scheint für manchen Gottesfürchtigen eine echte Provokation zu sein.
Dabei ist der Regenbogen in jüdisch-christlicher Tradition ein wichtiges Bundeszeichen. Die große Sintflutmythos in Genesis 6-9 berichtet davon, wie Gott angesichts des Bösen eingreift. Wo aber fängt dieses Eingreifen an und wo hört es auf. Es heißt, dass bei diesem Eingreifen Gottes fast niemand bestehen kann. Nur Noach und seine Familie werden gerettet – und von jedem Tier ein Paar; alles andere Leben wird in den Fluten vernichtet. Wenn Gott eingreift und das Böse vernichtet, bleibt nichts mehr übrig. Nachdem Noachs Arche auf festem Bund landet, gibt es deshalb eine Art „Reset“ für die Schöpfung – und Gott schließt mit diesen neuen ersten Menschen einen ewigen Bund:
„Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.“ (Gen 9,11)
Und Gott besiegelt diesen Bund mit einem Zeichen:
„Meinen Bogen setze ich in die Wolken; er soll das Zeichen des Bundes werden zwischen mir und der Erde. Balle ich Wolken über der Erde zusammen und erscheint der Bogen in den Wolken, dann gedenke ich des Bundes, der besteht zwischen mir und euch und allen Lebewesen, allen Wesen aus Fleisch, und das Wasser wird nie wieder zur Flut werden, die alle Wesen aus Fleisch verdirbt.“ (Gen 9,13-15)
So symbolisiert der Regenbogen den entmachteten Kriegsbogen. Gott hatte ihn gegen die Erde und die Lebewesen gerichtet; jetzt hängt er ihn als Zeichen des Friedens umgekehrt in den Himmel.
Ob das die religiösen Eiferer wissen, wenn sie sich gegen den Regenbogen empören? Der Bund Gottes gilt allen(!) Lebewesen – niemand wird ausgeschlossen. Es ist ein Bund zwischen Gott und Mensch – ein Bund auf Augenhöhe. Das ist essenziell für das jüdische wie für das christliche Gottesverständnis: Der Mensch ist Partner Gottes! Was Gott achtet, sollte dem Menschen heilig sein. Der Regenbogen ist deshalb immer auch ein Auftrag für die Menschen, die Mitwelt bei aller Verschiedenheit zu achten. Wer sich des Regenbogens schämt, verrät die wichtigsten Werte unserer Kultur. Pacta sunt servanda! Der Vertrag gilt.
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in einer gekürzten Version der Westdeutschen Zeitung vom 2. Dezember 2022.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Du kannst einen Kommentar schreiben.