Dies Domini – Fünfter Fastensonntag, Lesejahr A
Hätte, würde, wäre, könnte – was hätten wir für Möglichkeiten, wenn werden würde, was wir könnten, wenn die Umstände nicht so wären, wie sie sind. Der Konjunktiv hat auch in diesen Zeiten wieder Konjunktur – jener Modus des Verbs, mit dem die Sprache uns ermöglicht, dem Möglichen – und bisweilen auch dem Unmöglichen – Ausdruck zu verleihen. Wohlgemerkt: Dem Möglichen – nicht dem, was ist. Das macht frei von persönlichen Festlegungen, gibt Sehnsüchten, die hin und wieder an Träumereien grenzen, Raum und bietet jederzeit die Möglichkeit zu jener verbalen Flucht, man habe die Dinge ja nicht so gemeint, wie man sie zu sagen glaubte. Der Konjunktiv ist ein Segen für all jene, die vermeiden wollen, auf ihr Wort verpflichtet zu werden. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Orientierung auf so vielfältige Weise nötig ist, entlarven die Konjunktiv-Verwender sich selbst. Man kann es an den aktuellen politischen Diskursen sehen: Was man alles tun müsste, wenn man nur könnte, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen; und natürlich wäre es wichtig, dem verbrecherischen Angriff Russlands auf die Ukraine entschieden zu begegnen, wenn das nicht die Atomwaffen wären, die Putin einsetzen könnte. Dass das alles andere als wahrscheinlich ist (Putin hat schon so viele Kriege geführt, ohne auch nur ansatzweise Atomwaffen einzusetzen) ist schon zu indikativisch formuliert. Der Konjunktiv hingegen lässt die Möglichkeit des Rückzugs offen, besser doch den Frieden mit Worten zu fordern, denen keine Taten folgen, ist doch auch die Friedensforderung eher an konjunktivische Bedingungen und mögliche Folgen gebunden: Wenn man der Ukraine keine Waffen liefern würde, wäre der Krieg schnell zu Ende und das Sterben würde aufhören … würde es das wirklich? Der Indikativ von Butscha, die Tatsache der Entführung ukrainischer Kinder, die Vergewaltigungen in den besetzten Gebieten sind Fakten, die keinen Raum für konjunktivische Sehnsüchte lassen, die durch die Wirklichkeit überhaupt sind. Wer so denkt, denkt nicht im Optativ (dem Wunsch), sondern im Irrealis (dem Unwahrscheinlichen)!
Auch in der Kirche feiert der Konjunktiv fröhlich Urständ. Würde die Krise der Glaubwürdigkeit, in der sich die Kirche seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten befindet, sich wirklich nicht weiter exponentiell entwickeln, wenn man endlich Priesterinnen hätte und die Beziehungen von Klerikern legalisieren würde? Das abgeschmackte Argument, bei den Kirchen, die aus der Reformation hervorgegangen sind, sei es auch nicht besser, grenzt zwar an Whataboutism, trifft aber insofern zu, als dass die protestantische Wirklichkeit zeigt, dass es daran gerade nicht liegt. Gleichwohl zeigt die römisch-katholische Realität, dass das Festhalten an überkommenen Tradition auch keine Lösung für die drängenden Fragen ist. Offenkundig ist genau das eben nicht die zentrale Frage in der gegenwärtigen Krise – weshalb die Sturheit, mit der die Debatte seit mindestens fünfzig Jahren (formulierte die Würzburger Synode 1975 nicht viel weitreichendere Forderungen als die, die jetzt im synodalen Weg bis zur Unkenntlichkeit weichgespült wurden?) geführt wird, nicht nur verwundert, sondern in sich symptomatisch ist. Sie ist nämlich konjunktivisch, weil sie in der einen, wie der anderen Richtung auf einer Wette beruht: Wenn alles so bleiben würde, wie es ist, würden die Menschen schon wieder kommen (sie kommen aber eben nicht); wenn man die Dinge endlich ändern würde, würden die Menschen wieder Gefallen an der Kirche finden und kommen (auch das wird nicht eintreten). Das Problem liegt darin, dass die Realität als solche nicht wahrgenommen wird. Es wird nur gefordert, was die Kirche sein müsste. Man träumt von einer neuen Gestalt der Kirche, beschreibt, wie man sie sich wünscht oder fordert ein neues Marketing für die Kirche. Allein für Letzteres müsste man sich vergewissern, was denn die Kirche ist, also eine indikativische Aussage treffen. Stattdessen blühen Befindlichkeitstexte aus kircheninternen Kreisen, die über Konjunktive nicht hinauskommen. Dabei hat das Zweite Vatikanische Konzil längst beschrieben, was die Kirche ist:
„Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit. Deshalb möchte sie das Thema der vorausgehenden Konzilien fortführen, ihr Wesen und ihre universale Sendung ihren Gläubigen und aller Welt eingehender erklären.“ (Lumen gentium 1)
Die Kirche ist nicht selbst Marke, sondern Methode, eben Zeichen und Werkzeug Gottes zur Verbreitung des Evangeliums. Von hierher ist zu fragen, ob ihr äußere Gestalt diesem Auftrag in der Welt von heute noch in der Lage ist, diesem Auftrag gerecht zu werden. Leider hat man es auf dem synodalen Weg verpasst, diese Frage intensiver zu diskutieren, sondern ist weiter auf dem Pfad geblieben, die Kirche selbst zur Marke zu machen und die Verpackung der Kirche zu ändern. Man bleibt bei dem, was man kennt – und ähnelt damit jener Maria von Betanien, die im Lukasevangelium zu Füssen Jesu sitzt und an seinen Lippen hängt, während ihre Schwester Marta mit beiden Beinen im Leben steht. Dort muss sich die handfeste Marta, die den Träumereien ihrer Schwester Maria noch Einhalt gebieten möchte, anhören:
Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil gewählt, der wird ihr nicht genommen werden. (Lk 10,41f)
Ist damit nicht der weltentrückten Kontemplation der Vorrang gegeben?
Das Evangelium vom 5. Fastensonntag im Lesejahr A spielen beide Schwestern wieder eine zentrale Rolle. Hier wird erwähnt, dass die beiden noch einen Bruder hatten: Lazarus, von dem es heißt, dass er ein Freund Jesu gewesen sei. Sein Tod wird ambivalent geschildert: Mal heißt es, er schlafe nur (vgl. Joh 11,11), was aber sofort dahingehend korrigiert wird, dass das nur eine Metapher für seinen Tod sei (vgl. Joh 11,13). Tatsächlich wird Marta unumwunden feststellen, dass er schon riechen würde (vgl. Joh 11,39), der Verwesungsprozess also schon eingesetzt hat. Jesus, der in der Lage sein wird, den Toten aus dem Grab zu rufen (vgl. Joh 11,43) ist trotzdem im Innersten getroffen (vgl. Joh 11,38). Die Widersprüchlichkeit der ganzen Erzählung gipfelt dann in der unerzählten Problematik, wie der Halbverweste nach seiner Reanimation sein Leben fristen wird: Kann einer, der den Tod schon durchschritten hat, wirklich glücklich sein, noch einmal sterben zu müssen und bis dahin wie ein schon Gestorbener durch das Leben gehen zu müssen? Ist es überhaupt wahrscheinlich, dass nur Johannes, diese bemerkenswerte Erzählung kennt, die doch einer Sensation gleichkommt, die keinen Zweifel mehr an Jesus lassen – Achtung Konjunktiv! – dürfte. Es heißt doch zum Ende des Evangeliums vom 5. Fastensonntag im Lesejahr A:
Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn. (Joh 11,45)
Wie so oft, muss man bei Johannes unter die Oberfläche des rein Erzählten schauen – und da kann man mindestens eine bemerkenswerte Beobachtung machen. Maria, die fromme Lauscherin, ist nämlich eine Liebhaberin des Konjunktivs:
Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. (Joh 11,32b)
Marta hingegen, die Handfeste, spricht auf die Frage Jesu, ob sie daran glauben würde, dass er die Auferstehung und das Leben sei, ein Bekenntnis im Indikativ:
Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll. (Joh 11,27)
Das ist bemerkenswert: Die fromm Lauschende ist noch lange nicht da, wo die Handfeste schon ist. Bei ihr aber schafft der Indikativ Fakten, wo der Konjunktiv noch nicht einmal Raum für Hoffnung verbreitet.
Das könnte kurz vor Ostern, dem Fest, an dem Gott neue Fakten geschaffen hat und aus Verheißungen Wirklichkeiten machte, ein entscheidender Hinweis sein: Hören wir auf, ständig im Konjunktiv zu reden. Hören wir auf, darauf zu spekulieren, dass es werden würde, wenn es anders wäre, als wir es wünschten. Erst wenn wir anerkennen und definieren, was ist, werden wir zu echten Taten kommen. Die aber verändern die Welt, öffnen Gräber und lösen Binden. Gut möglich, dass manch einer sich in der neuen Zeit wie einer bewegt, der ein erstes Leben hinter sich hat und sich in im neuen nicht zurecht findet. Ostern aber zeigt, dass ohne Tod kein neues Leben möglich sein wird. Die Frage der Fragen lautet also nicht, wie man einen Sterbende noch möglichst lang am Leben halten kann, sondern was sterben muss, damit neues Leben möglich wird. Eines nämlich ist sicher: Es wird sich etwas ändern!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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