Kennen Sie Darwin? Sicher nicht persönlich – aber, dass der Stärkere gewinnt, lernt man für gewöhnlich auf jedem beliebigen Schulhof. Ob der Stärkere am Ende aber überlebt, ist noch lange nicht ausgemacht. Der US-amerikanische Medienwissenschaftler Douglas Rushkoff hat beobachtet, dass superreiche Milliardäre, die in „normalen“ Zeiten mit ihrem Geld alles beherrschen und kaufen können, in Katastrophen schutzlos sind: Wenn Geld nichts mehr hilft, hilft es nichts mehr, reich zu sein. Werden die ganzen Schutzmechanismen, die man sich für viel Geld zugelegt hat, noch funktionieren? Was glauben Sie denn?
Darwin wird oft nur verkürzt wiedergegeben. Tatsächlich sprach er nicht vom „Überleben der Stärkeren“, sondern vom „Survival of the Fittest“, vom Überleben derer, die am besten angepasst sind. Anpassungsfähigkeit verlangt nicht nur Flexibilität; für die menschliche Existenz gehört ohne Zweifel auch die soziale Dimension dazu. Die Menschheit konnte die natürlichen Gefahren nur gemeinsam bezwingen. Arbeitsteilung, Kommunikation und letztlich auch soziale Rücksichtnahme auf die Schwächeren sicherten das Überleben.
Trotzdem sehnen sich viele auch heute wieder nach einer starken Führerfigur, der man willig folgen kann. Wo ein starker Führer ist, kann man sich selbst doch zurückziehen und seiner persönlichen Work-Life-Balance frönen, entlastet von den Herausforderungen des Lebens. Der starke Mann da oben, wird es schon richten.
Wie sehr dieses Denken verbreitet ist, kann man in diesen Tagen wieder erleben, wenn auf den Straßen mancher Städte nach der Errichtung eines Kalifates gerufen wird oder populistische Parteien unverhohlen ihre Bewunderung für einen Kriegstreiber wie Vladimir Putin äußern. Den Preis der Unfreiheit sind offenkundig viele bereit zu zahlen, wenn man nur nicht selbst denken muss. Übersehen wird dabei allerdings, dass autokratische Systeme gerade nicht katastrophenresistent sind, sondern sogar oft in die Katastrophe führen. Wo der Wille, füreinander einzustehen, systematisch ausgelöscht wird, fehlt in der Krise nicht nur jeder Schutz; wo die Krise gar geleugnet wird und man den Hungernden in völliger Verkennung der wahren Verhältnisse empfiehlt, Kuchen statt Brot zu essen, ist der revolutionäre Umsturz ein Erweis, dass der Stärkere gerade nicht gewinnt.
Am kommenden Sonntag beendet die römisch-katholische Kirche das Kirchenjahr mit dem Hochfest Christkönig. Das Königtum Christi ist paradox: Der, der hier als König verehrt wird, ist ein zutiefst Gescheiterter, stirbt er doch am Kreuz den Fluchtod der Gottverlassenen. Tiefer kann man nicht sinken! Christen aber bekennen, dass der Gottverlassene von Gott gerettet wird. Das hat Konsequenzen, die im Evangelium vom Christkönigssonntag ins Wort gebracht werden. Gerade weil Jesus Christus im Scheitern gewinnt, sind es die Gescheiterten, in denen man ihm heute begegnen kann:
„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40),
sagt er da, aber eben auch:
„Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und diese werden weggehen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben.“ (Mt 25,45f)
Man kann sich vorstellen, dass gerade Darwin den Sinn dieser Wort verstanden haben könnte. Erst im Einsatz füreinander konnte die Menschheit überleben. Das hat die Menschheit fit gemacht, bedeutet aber eben immer auch steten Einsatz. Wer Life will, muss worken. Wer hier nur auf seinen eigenen Vorteil schaut, könnte überrascht sein, wenn in der nächsten Krise niemand da ist, zu helfen. Die Evolution lehrt eben, dass nicht unbedingt die Starken überleben. Eine fitte Gesellschaft lässt die Schwachen nicht zurück. Das ist nicht weniger als eine Frage des Überlebens … auch heute noch!
Dr. Werner Kleine
Erstveröffentlicht in der Westdeutschen Zeitung vom 24. November 2023.
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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