Dies Domini – Zwangzigster Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Es sind herausfordernde Zeiten. Wieder einmal. Klimawandel, Kriege, Katastrophen – die Welt ist unübersichtlich geworden. Wieder einmal. Das Private scheint der letzte Rückzugsraum zu sein, in dem man sich sicher wähnt. My home is my castle – ein feste Burg ist mein zu Hause. Wenn da nicht diese modernen Medien wären, durch die man die Herausforderungen der Gegenwart nicht nur in der Hosentasche mit sich führt und so immer auch griffbereit in der heimischen Burg zur Hand hat. Die heimische Burg hat auch keine Zugbrücke mehr, die Verführer und Feinde auf Abstand halten könnte. Über die sogenannten sozialen Medien dringen sie alle in die Sphäre des Privaten mit ihren einfachen Antworten ein. Was waren das noch für Zeiten, in denen man sich mühen musste, um an Informationen zu gelangen und in denen Gatekeeper, redaktionelle Türwächter Informationen aufbereiteten, gewichteten, prüften und dann präsentierten. Jetzt aber sind die Mauern gefallen. Die heimische Burg liegt blank und bloß, offen für jeden Sturm der Desinformation, der noch jede Mühe nach echter Information hinweggefegt hat. Einfache Antworten schlagen halt immer das Ringen um echte Lösungen für komplexe Phänomene. Was hilft schon Wägen und Prüfen, wenn irgendjemand irgendetwas auf Youtube gesagt oder im Internet geschrieben hat. Die neuen Naseweisen haben die Weisheit längst vertrieben, als sie der Torheit Tür und Tor öffneten. Es sind herausfordernde Zeiten. Wieder einmal.
Der Mensch an sich liebt ja die Vereinfachung. Das macht das Denken übersichtlich. Deshalb sind die Verführer mit den einfachen Antworten auf komplexe Fragen so erfolgreich. Dass das zu allen Zeiten so war, zeigt schon die zweite Lesung vom 20. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B. Nicht ohne Grund mahnt der Autor des Epheserbriefes dort:
„Schwestern und Brüder! Achtet sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht wie Toren, sondern wie Kluge! Nutzt die Zeit, denn die Tage sind böse. Darum seid nicht unverständig, sondern begreift, was der Wille des Herrn ist!“ (Eph 5,15-17)
Die Gefahr, der Torheit zu verfallen ist nicht nur groß; sie ist auch verführerisch, wie süßer Wein. Der aber macht, wie es in der Lesung heißt, zügellos. Wenn die Information der Emotion unterliegt, dann wird jedes Ringen um vernünftige Entscheidungen von Orgien der Empörung hinweggefegt. Der Wutbürger der Gegenwart ist selbstgerecht und eitel; die Aufklärung hingegen hat ihre besten Zeiten wohl hinter sich. Gehäufte Dummheit aber wird auch im Schwarm nicht intelligent.
Die erste Lesung vom 20. Sonntag im Jahreskreis lässt hingegen ahnen, wie mühsam das Ringen um Weisheit ist:
„Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, ihre sieben Säulen behauen. Sie hat ihr Vieh geschlachtet, ihren Wein gemischt und schon ihren Tisch gedeckt.“ (Spr 9,1f)
Weisheit kostet etwas. Bildung ist anstrengend. Vernunft heißt Ringen um die Wahrheit. Aber die Mühe lohnt sich. Deshalb hat die Weisheit einen Auftrag. Sie lädt die Unwissenden und Unerfahrenen ein:
„Wer unerfahren ist, kehre hier ein. Zum Unwissenden sagt sie: Kommt, esst von meinem Mahl und trinkt vom Wein, den ich mischte! Lasst ab von der Torheit, dann bleibt ihr am Leben und geht auf dem Weg der Einsicht!“ (Spr 9,4-6)
Das ist ein echtes Festmahl, dass die Weisheit da vorhält. Völlig anders als das Fastfood der Torheit, das nur kurzfristig satt macht, aber nicht wirklich nährt. Deshalb kommen die Toren nicht zur Ruhe und empören sich immer wieder. Ach, würden sie sich doch den Mühen der Weisen unterziehen und endlich ihren Verstand benutzen. Die Anstrengungen würden sich lohnen. Wer aber will schon arbeiten, wenn die Freizeit so verlockend erscheint und die Lösungen auf wenigen Zentimetern Bildschirmdiagonale mundgerecht serviert werden. Wer will schon dreidimensional denken, wenn die Zweidimensionalität alle Anstrengungen unnötig zu machen scheint. Man hat es doch im Internet gesehen.
Es sind herausfordernde Zeiten. Wieder einmal. Das Erstaunliche ist, dass die Heilige Schrift immer wieder das Lob der Vernunft, der Weisheit und des Logos singt. Offenkundig ist die Gottsuche nicht so irrational, wie manch ein Kritiker glaubt. Ein Tor ist, wer der Emotion den Vortritt vor der Information gibt – und das gilt für allzu Fromme genauso, wie für Denkfaule und Empörte. Sie eint nämlich eines: Die Verachtung des Zweifels, der die eigene Weltsicht in Frage stellen könnte. Und so ziehen sich die einen in ihre Frömmigkeit zurück, die anderen in eine vermeintlich sichere Privatheit, in der man sich nicht stören lassen möchte. Beide aber haben die Zugbrücken längst heruntergelassen für das Irrationale und Törichte. Wie will man mit solchen Toren Herausforderungen bewältigen. Die Zeiten bleiben herausfordernd. Wieder einmal …
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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