Dies Domini – 24. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Es ist schon mehr als erstaunlich, mit welcher Sicherheit manche selbsternannten Verfechter dessen, was sie für den wahren Glauben halten, auftreten und über jene urteilen, die nicht vollständig mit ihrer Sicht übereinstimmen. Wenn selbst zu Lebzeiten Jesu der Glaube nicht zwingend durch die damals noch mögliche leibhaftige Begegnung mit ihm begründet wurde, dann sollte man doch mit nahezu 2000 Jahren Abstand mit dem Urteilen vorsichtiger sein – und diese Mahnung gilt für alle, die gerne über jene urteilen, die nicht der eigenen Perspektive auf die Welt, die Kirche und den Glauben entsprechen.
Allein das Evangelium vom 24. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B sollte da schon Mahnung genug sein. Der Text markiert den Übergang von der galiläischen Phase des Wirkens Jesu und dem Beginn der Verkündigung in Judäa. Jesus bricht nach Jerusalem auf, wo sich sein Schicksal erfüllen wird. Die Zeit in Galiläa war ein wahrer Frühling – und das im doppelten Sinn des Wortes. Zum einen war es jahreszeitlich Frühling, zum anderen war es eine Zeit des Aufbruchs und der Euphorie. Die Verkündigung des nahen Reiches Gottes in Wort und Tat, Heilungen, Gleichniserzählungen, die Auswahl der Zwölf und deren Entsendung in die Städte und Dörfer Galiläas und gleich zwei große Zusammenkünfte, bei denen viele satt wurden (einmal ist von 5.000 Menschen die Rede, ein weiteres Mal von 4.000) zeigen, wie Jesus die Menschen geradezu anzog.
„Für wen halten mich die Menschen?“ (Mk 8,27),
ist da eine sehr verständliche Frage, die Jesus am Beginn des Evangeliums stellt. Und doch verwundert sie viele heute Glaubende, die sich sicher sind, zu wissen, wer er ist: Er ist doch der Messias! Kann es da einen Zweifel geben?
Die leibhaftige Begegnung mit Jesus aber führt offenkundig gerade nicht zu dieser Sicherheit. So antworten ihm seine Jünger, was sie von den Menschen gehört haben:
„Einige für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für sonst einen von den Propheten.“ (Mk 8,28)
Es handelt sich bei diesen Identifikationen offenkundig um Reinkarnationen. Johannes, der Täufer, ist zu diesem Zeitpunkt schon Tod, Elija, dessen Wiederkunft von vielen Juden damals sehnlichst erwartet wurde, ebenfalls; auch die Propheten sind jene des Alten Bundes. Irgendeiner scheint sich aus Sicht der Menschen in Jesus reinkarniert zu haben. Eine merkwürdige Antwort für ein Volk, das zwar darüber stritt, ob es eine Auferstehung gibt (so etwa die Pharisäer) oder nicht (so die Sadduzäer). Nur eine Antwort fehlt. Niemand scheint ihm, der seine Vollmacht in Wort und Tat doch mehrfach gezeigt hat, den Gesandten Gottes, den Messias zu sehen.
Die aber, die unmittelbar mit ihm in dieser Zeit des galiläischen Frühlings waren, haben einen tieferen Einblick erhalten. Und so antwortete Petrus auf die Frage Jesu, für wen ihn seine engsten Gefährten halten:
„Du bist der Christus!“ (Mk 8,29)
Du bist der (!) Christus, der (!) Gesalbte und Gesandte Gottes, der (!) Messias! Da ist doch alles klar, oder?
Ist es nicht! Denn das Bild des Christus, des Gesalbten Gottes, das Petrus hat, entspricht nicht dem Schicksal, das Jesus kommen sieht:
„Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohepriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er muss getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.“ (Mk 8,31)
Diese, wie das Markusevangelium, freimütige Vorausschau kann Petrus nicht ertragen. Er nimmt Jesus beiseite und weist ihn zurecht. Das Messiasbekenntnis, das er eben noch so überzeugt vorgetragen hatte, erfährt einen Riss. Das darf doch nicht wahr sein? Ein gescheiterter Jesus? Das möge Gott verhüten!
Bemerkenswert ist die geradezu brüske Reaktion Jesu, die nachgerade einer Verfluchung gleichkommt:
„Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen.“ (Mk 8,33)
Es ist dieser Satz aus dem Munde Jesu, der allen Selbstsicheren und Zweifellosen eine Warnung sein sollte. Nicht jeder, der vermeintlich fest im Glauben steht, ahnt wohl, dass der Glaube auf dem Scheitern Jesu am Kreuz beruht. Ein nur herrlicher Glaube, der nicht den Schmutz der Welt steckt, scheint aus Jesu Sicht satanisch zu sein. Und was wäre, wenn dieser Jesus heute auf den Straßen und Plätzen unserer Stadt stünde und uns aufforderte:
„Gebt ihr ihnen zu essen!“ (Mk 6,37)
Denn darum geht es: Der Glaube ist eben nicht nur Bekenntnis. Der Glaube drängt zur Tat, so wie es in der zweiten Lesung vom 24. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres B heißt:
„Meine Schwestern und Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten? Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung sind und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen – was nützt das? So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat. Aber es könnte einer sagen: Du hast Glauben und ich kann Werke vorweisen; zeige mir deinen Glauben ohne die Werke und ich zeige dir aus meinen Werken den Glauben.“ (Jak 2,14-18)
Der Glaube ist ein Tatwort, ein Ereignis. Bevor also jemand über einen anderen urteilt, sollte man auf die Werke schauen, die jemand tut. Und vor allem sollte man auf das eigene Handeln schauen, denn allein das Urteilen an sich steht schon einer Weisung Jesu entgegen, der sagt:
„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Denn wie ihr richtet, so werdet ihr gerichtet werden und nach dem Maß, mit dem ihr messt, werdet ihr gemessen werden.“ (Mt 7,1f)
Wer weiß, vielleicht ist Jesus, der Christus längst wieder in dieser Welt unterwegs … und wird von jenen nicht erkannt, die sich seiner so sicher sind. Der Glaube ist oft uneindeutiger, als es den Zweifellosen lieb ist …
Dr. Werner Kleine,
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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