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kath 2:30 Dies DominiIdeologien sind stärker als Beton. Mauern aus Steinen kann man überwinden, einreißen, abreißen. Aber die Mauern im Kopf sind nahezu unzerstörbar. Auch 34 Jahre nach der Wiedervereinigung ist nicht wirklich zusammengewachsen, was zusammengehört. Wenn nach soziologischen, ökonomischen oder politischen Umfragen und Untersuchungen die Ergebnisse auf Karten visualisiert werden, kann man nur allzu häufig die alten Grenzen noch erkennen. Was am 3. Oktober 1990 mit Jubel und Feuerwerk begann, hat heute eher den Charakter einer Feierstunde, die in ihrem getragenen Ernst kaum von Trauerfeiern zu unterscheiden ist. Dabei wurde die Wiedervereinigung doch durch den Freiheitsdrang derer ermöglicht, die sich innerlich wie äußerlich eingesperrt fühlten und die Freiheit der Wortes, der Meinung, der Presse ersehnten. Sie waren bereit, Zäune und Mauern zu überwinden. Wo ist dieser Freiheitsdrang geblieben, wo die Freude über Leben in Einheit? Lohnt es sich überhaupt noch, für diese Freiheit zu kämpfen? Was glauben Sie denn?

Schaut man sich die vielen Ratschläge selbsternannter Expertinnen und Experten an, dann sollte man den Wert der Freiheit freilich nicht allzu hoch hängen. Egal ob es der russische Angriffskrieg auf die Ukraine oder das bestialische Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 ist: ehe man selbst Stellung bezieht, zieht man sich lieber in den eigenen goldenen Käfig zurück und mischt sich besser nicht ein. Es irritiert viele in unserem Land, dass die Angegriffenen sich partout nicht zum Opfer machen lassen wollen, sondern Opfer zu bringen bereit sind, um die Freiheit zu verteidigen. Die nämlich wird von Ideologen in Frage gestellt, bei denen sich im Kopf statt eines Gehirnes aus lebendigem Fleisch nur eine graue Masse aus totem Beton zu befinden scheint. Der Aggressor Putin strebt nach der Wiederherstellung eines historisch kaum nachzuweisenden Großrusslands und ist dafür bereit, die Jugend seines eigenen Landes an der Front sterben zu lassen. Die schiitischen Ideologen im Iran hingegen erwarten den Mahdi als endzeitliche Erlöserfigur. Er ist der „Geleitete“, der als Kalif in Jerusalem die islamische Weltherrschaft errichten wird. Kein Wunder, dass in dieser Ideologie alle Nichtmuslime, Christen, vor allem aber auch Juden aus Israel zu vertreiben sind oder getötet werden müssen, damit der Mahdi endlich erscheinen kann. Deshalb hat der Iran, nachdem seine Helfershelfer in der Hisbollah im Libanon, der Hamas im Gaza-Streifen und der Huthi-Rebellen im Jemen, die sich alle hinter der Zivilbevölkerung verstecken und bereit sind, wie Putin, das eigene Volk den ideologischen Interessen zu opfern, angefangen, selbst Raketen auf Israel zu richten. Erstaunlich, dass das kaum gesehen wird. Stattdessen wird Israel gemahnt, nicht zu eskalieren. Soll sich das jüdische Volk in Israel einfach so vertreiben lassen? Warum stört es die Menschen so, dass sich Juden partout nicht zum Opfer machen lassen wollen, sondern für ihre Freiheit kämpfen?

Natürlich werden jetzt viele, die diesen Text lesen, das sattsam bekannte „Ja, aber …“ formulieren. Das Problem an dem „aber“ ist, dass man alles, was vor dem „aber“ steht, vergessen kann. Es steht nicht weniger zur Debatte als die Frage, welchen Wert die eigene Freiheit hat, ob man sie verteidigen darf oder sogar muss. Wie wenig die „Abers“, die dann oft auf die sicher kritikbedürftige Politik der israelischen Regierung oder die Siedlungspolitik im Westjordanland abheben, wert sind, zeigt die Reaktion sogenannter „propalästinensischer“ Demonstranten in Berlin am 1. Oktober: Als bekannt wurde, dass Iran Israel bombardiert, brach Jubel aus. Hier, in Deutschland müssen Juden um ihre Freiheit, als Juden leben zu können, fürchten. Es geht nicht um Israel. Es geht nicht um die Ukraine. Es geht um die Freiheit. Sind wir bereit, für sie einzutreten? Sind wir bereit sie zu verteidigen? Am 3. Oktober 1990 war die Hoffnung groß. Wie klein wir uns hier doch mittlerweile machen mit unseren Mauern im Kopf.

„Shalom al Israel! Frieden über Israel!“ (Ps 125,5)

Dr. Werner Kleine

Erstveröffentlicht  in der Westdeutschen Zeitung vom 4. Oktober 2024.

Author: Dr. Werner Kleine

Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.

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