Dies Domini – Fest Darstellung des Herrn, Lesejahr C
War das ein Lehrstück der Demokratie? Oder war es das Versagen der elementarsten demokratischen Konventionen? Der Streit um die Frage, welchen Sinn es macht, drei Wochen vor der Bundestagswahl „All in“ zu gehen, und in der Frage der Neuordnung der Migrationsfrage die Zustimmung einer demokratisch nur schwer satisfaktionsfähigen Partei billigend in Kauf zu nehmen, wird von Medien, Zeitgenossinnen und -genossen und natürlich von den im Bundestag im Pro oder Contra beteiligten Parteien je nach persönlicher Perspektive unterschiedlich beantwortet. Ausgangspunkt war der durch einen mutmaßlich psychisch erkrankten Asylbewerber begangenen Mord an einem Kind und einem Mann in Aschaffenburg. Dieser Mord reiht sich ein in die Taten von Solingen, Magdeburg und Mannheim, bei denen Menschen durch von Migranten verübte Messerangriffe ermordet wurden. In allen Fällen gibt es bei den Tätern eine Vorgeschichte, die fragen lässt, warum diese Menschen zum Tatzeitpunkt überhaupt auf freiem Fuß waren oder nicht wenigstens unter besonderer Beobachtung der Behörden standen. Vorausgegangen waren immer andere Straftaten, Angriffe, versuchte Vergewaltigungen, Drohungen usw. usw. Selbst wenn die Täter psychisch belastet sind, kann das keinesfalls die Taten entschuldigen. Gerade weil die Dispositionen längst bekannt waren, bleibt eher die Frage, warum die Bevölkerung und auch die Mitbewohnerinnen und -bewohner in den Heimen nicht vor erwartbaren Übergriffen geschützt werden können. Statt sich aber mit dieser Frage und der Schaffung entsprechender rechtlicher Möglichkeiten auseinanderzusetzen wird das größtmögliche Besteck ausgepackt und ein Zustrombegrenzungsgesetz diskutiert, das zwar die niedrigschwelligen Befindlichkeiten einer Mehrheit der Bevölkerung goutiert (nach einigen Umfragen sollen 66% der Deutschen ein solches Gesetz befürworten), in der Praxis aber keine Auswirkungen haben dürfte. Nicht nur, dass in Großbritannien und Italien vergleichbare Ansinnen der Begrenzung der Zuwanderung durch nationale Gerichte ausgebremst wurden. Auch das europäische Recht lässt solche nationalen Alleingänge nur in eng begrenztem Rahmen und einer entsprechenden Notlage zu, die als solche erst einmal festgestellt werden müsste. Es ist fraglich, ob die Morde von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg eine solche nationale Notlage begründen. Und wenn, müsste man etwa angesichts der Femizide in Deutschland (im Jahr 2023 wurden 938 Mädchen und Frauen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten) nicht viel eher eine nationale Notlage erklären? Und hätte eine Zustimmung des Bundestages zu Zustrombegrenzungsgesetzt, die am 31. Januar 2025 nicht zustande kam, solche Taten wirklich verhindert? Die Täter – auch jene, die potenziell zu solchen Taten fähig sind – sind doch längst im Land. Die Vorgeschichte der Täter von Magdeburg, Solingen, Mannheim und Aschaffenburg lässt eher fragen, warum die Behörden nicht in der Lage waren, die Gefahr zu sehen und die Taten zu verhindern. Kann man es sich leisten, massenhaft polizeiliches Personal an die Grenzen zu schicken, die nach Auskunft von Fachleuten nie zu 100% zu sichern sind, das dann dort fehlt, wo es eigentlich benötigt würde – bei der Gewährleistung der inneren Sicherheit zur Überwachung der potenziell gefährlichen Täter?
Bei näherer Betrachtung erscheint die Strategie des „All in“, die die zum Zeitpunkt der Einbringung des Zustrombegrenzungsgesetzes in den Bundestag in Umfragen stärkste Partei für die Wahl des nächsten Bundestages verfolgt hat, nicht nur hart an der Grenze eines Erpressungsversuches der anderen Parteien in der demokratischen Mitte zu sein; sie trägt auch angesichts diametral entgegengesetzter Äußerungen des Vorsitzenden der CDU, Friedrich Merz, vom 13. November 2024 den Verdacht in sich, dass derselbe nicht zu seinem Wort steht und damit einen massiven Vertrauensverlust mit sich bringt. Damals sagte Friedrich Merz in seiner Rede im Deutsche Bundestag:
„Für die wenigen verbleibenden Entscheidungen, die ohne Bundeshaushalt möglich sein könnten, will ich Ihnen hier einen Vorschlag machen: Wir sollten mit Ihnen, den Sozialdemokraten, und Ihnen, die Grünen, vereinbaren, dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt. Diese Verabredung möchte ich Ihnen ausdrücklich vorschlagen, meine Damen und Herren. Denn das hätten diese Damen und Herren von rechts außen doch gerne, dass sie plötzlich die Mehrheiten besorgen, und sei es mit Ihnen von den beiden Minderheitsfraktionen bei der Bestimmung der Tagesordnung. Wir wollen das nicht. Ich hoffe, Sie sehen das auch so, liebe Kolleginnen und Kollegen.“
Genau diese Möglichkeit hat er am 31. Januar 2025 trotz einer absehbaren Niederlage (in den Fraktionsbesprechungen der FDP und der CDU dürfte deutlich geworden sein, dass eine Mehrheit für den Beschluss des Zustrombegrenzungsgesetzes nur schwer zu erreichen ist) ungenutzt gelassen, um gemeinsam mit der SPD und den Grünen das Thema in die zuständigen Ausschüsse zurückzuverweisen. Das wäre eine gesichtswahrende Möglichkeit gewesen, die man – ja, warum überhaupt – liegen gelassen hat. Außer Getöse nichts gewesen. Die Feinde der Demokratie feiern sich selbst …
Das alte Böckenförde-Theorem, der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann, wird gerade von Glaubenden gerne auf eine potenziell religiöse Deutung hin interpretiert. Die braucht es aber gar nicht. Die Voraussetzung ist das grundlegende Vertrauen in den Respekt und die Ehrlichkeit der politischen Akteure, die hart in der Sache aber mit Respekt vor dem politischen Gegner agieren. Wer am 31. Januar 2025 das teilweise Giften und Geifern im Bundestag beobachtet, erkennt, dass die politischen Gegner zu Feinden mutiert sind. Wer will denn da nach der Wahl mit wem noch koalieren?
Im Evangelium vom Fest Darstellung des Herrn heißt es:
„In Jerusalem lebte ein Mann namens Símeon. Dieser Mann war gerecht und fromm und wartete auf den Trost Israels und der Heilige Geist ruhte auf ihm.“ (Lk 2,25)
Frömmigkeit ist sicher eine wünschenswerte Tugend, die aber wenigsten den Glauben voraussetzt. Das kann man in einem säkularen und freiheitlichen Staat wirklich nicht von jedem verlangen. Das Streben nach Gerechtigkeit hingegen wohl. Der greise Simeon wartet lange im Tempel auf die Erfüllung seiner Verheißung. Das Warten können, das Beobachten, das Denken und dann das Erkennen ist in unserer schnelllebigen Zeit ohnehin schwierig geworden. Wäre es aber gerade für die, die Verantwortung für Volk und Land tragen, nicht die Grundtugend? Eine Tugend, die nicht auf effekthascherische, letztlich aber untaugliche Maßnahmen setzt, statt das Problem als solches anzugehen? Die Grenzen werden schon seit einem halben Jahr kontrolliert. Sie konnten die Morde von Magdeburg und Aschaffenburg aber auch nicht verhindern. Offenkundig muss man den Blick nicht auf die Grenzen, sondern auf die innere Sicherheit wenden.
Der greise Simeon jedenfalls kommt an sein Ziel:
„Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.“ (Lk 2,30-32)
Erleuchtung ist das, was gegenwärtig wohl am nötigsten erscheint. Die viel gepriesene Aufklärung ist in einer schweren Krise. Wenn die Emotionen hochschlagen und Information und Fakten an den Rand drängen, wenn das Reptiliengehirn und das limbische System im Menschen die Herrschaft über den präfrontalen Cortex übernimmt, dann herrscht der Trieb über die Vernunft. Dann möge Gott uns beistehen!
Am 23. Februar 2025 gilt es für die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, der Vernunft wieder u ihrem Recht zu verhelfen. Wählen Sie die Richtigen! Heiliger Simeon, bitte für uns!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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