„Wenn es die katholische Kirche nicht gäbe, müsste man sie erfinden. (…) Mir ist am wohlsten und ich fühle mich am sichersten, wenn ich den Elefanten der katholischen Kirche da stehen habe, und die Modernitätshysteriker können sich daran abarbeiten. (…) Der Charme der katholischen Kirche besteht darin, dass sie auf der Bremse – und das brauchen wir.“ – so sagte Rüdger Safranski am Sonntag, dem 29. November 2009 in der ZDF-sendung „Das Philosphische Quartett“, das sich dem Thema „Die Politik Papst Benedikts XVI. Kreuzzug gegen die Moderne?“ gewidmet hatte (>> Link zur Sendung). Wenig später folgte dann die Aussage des Komoderator Rüdiger Safranskis, Peter Sloterdijk, vom „Weltkulturerbe ‚Katholizismus'“.
Die Sendung hatte zum Ziel, den Pontifikat Papst Benedikts XVI und seine in der inner- wie außerkirchlichen Öffentlichkeit umstrittenen und vieldiskutierten Entscheidungen zur Wiederaufnahme der vier Bischöfe der Pius-Bruderschaft, zur sogenannten Wiederzulassung des „Alten Ritus“, der „Regensburger Rede“ oder seines Agierens gegen die „Diktatur des Relativismus“ zu hinterfragen. Gleichwohl gelang dieses Anliegen der Sendung nicht so recht. So schreibt etwa „Die Welt“ vom 30.11.2009: „Warum Benedikt XVI so ‚grottenschlecht‘ ist“:
Die vier Herren stritten wie gewiefte Scholastiker mehr übers Besteck als über Fakten, das Fernsehen ist ja weder Hörsaal noch Konzil. Deckers bemängelte prompt kurz das Desinteresse Benedikts an der mittelalterlichen Aristoteles-Verarbeitung durch Thomas von Aquin und Co, also der Scholastik. Und schon war man woanders. Rüdiger Safranski mahnte dann: „Wir sollten bei den Vorwürfen noch ein bisschen weiter machen.
Das ganze Gespräch gipfelte dann in den eingangs zitierten Äußerungen Rüdiger Safranskis und Peter Sloterdijks.
Der Katholizismus als Weltkulturerbe und Entschleunigungsprogramm. In manchen konservativen katholischen Internetforen wurde schon reichlich Beifall insbesondere für den Satz Rüdiger Safranskis, wenn es die katholische Kirche nicht gäbe, müsse man sie erfinden, gespendet. Aber ist den Applaudierenden überhaupt klar, welche Implikationen dieser Satz in sich birgt. Reicht es tatsächlich, in der katholischen Kirche lediglich eine gesellschaftlich notwendige „Moralagentur“ zu sehen, um einen Begriff zu Hans Küng geprägten Begriff zu verwenden? (>> siehe hierzu den Kath 2:30-Artikel: Religionen als Moralagenturen?)
Auf den ersten Blick erscheinen die Aussagen Rüdiger Safranskis sympathisch. Auf den 2. Blick wird jedoch deutlich, dass die Kirche hier in einem rein funktionalen Aspekt als Gralshüterin von Werten, deren Legitimation innerweltlich nicht wirklich gewährleistet werden kann, gesehen wird. In ihrem „Elefantengedächtnis“, wie Rüdiger Safranski sagt, bleiben diese Werte aufgehoben. In ihr ist eine Zeit der unhinterfragten Respektierung der Werte konserviert. Aber ist damit das eigentliche Wesen der Kirche schon erfasst?
Eben dieser Aspekt wurde im „Philosophischen Quartett“ unter im Rahmen der Debatte um Platonismus und Aristotelismus diskutiert. Einfacher gesagt: Es geht bei allem um die Frage nach der Wahrheit; oder genauer: Es geht um das Verhältnis von absoluter Wahrheit und Wahrscheinlichkeit. Die Diskutanten waren sich still einig, dass der Religion an sich immer ein Wahrheitsanspruch innewohnt. Und dem ist tatsächlich so. Jede echte Religion nimmt für sich in Anspruch, den Königsweg der Wahrheitsfindung zu haben. Das ist nicht nur legitim, sondern auch notwendig. Angefragt wurde aber, inwieweit dieser Wahrheitsanspruch auch über die Religion hinaus geht. Alan Posener als Gast im „Philosphischen Quartett“ warf etwa ein, dass er sich nicht an die Weisungen der Kirche gebunden fühle und es schlicht für unzulässig halte, dass die Kirche einen solchen über die Kirche hinausgehenden Anspruch erheben könne.
An dieser Stelle wird das Dilemma der Äußerung Rüdiger Safranski, wenn es die Kirche nicht gäbe, müsse man sie erfinden, deutlich. Die rein funktionelle Bedeutung kommt nämlich an ihre Grenzen, wenn man die inneren Voraussetzungen nicht mitbedenkt. Die Kirche ist in Fortführung eine Wort Jesu aus dem Johannesevangelium zwar nicht von der Welt, aber in die Welt gesandt (vgl. Johannes 17, 16-18). Die Kirche ist eben keine menschliche Erfindung; sie hat ihre tiefste Ursache in Gott selbst. Gerade von diesem Selbstverständnis her rührt ihr Anspruch, Wert zu vertreten, und ihr Mut und Auftrag, diese Werte auch zu verfechten. Beraubte man die Kirche dieses Urgrundes, würde jedwede Legitimation und Motivation entfallen.
Mit diesem Selbstverständnis ist aber auch ein grundsätzlicher Anspruch verbunden. Wenn die Kirche ihren tiefsten Grund in Gott, der der Grund allen Seins ist, hat, dann kann es prinzipiell keinen Bereich geben, für den die Kirche nicht zuständig wäre. Sie kann und darf sich nicht auf den rein innerkirchlichen Bereich beschränken. Die Kirche ist keine bloße Frömmigkeitsinstitution. Sie ist eben auch Kirche in der Welt und vor allem Kirche für die Welt.
Mit dem Selbstverständnis der Kirche ist dann aber auch der Wahrheitsanspruch verbunden. Gerade die katholische Kirche sieht sich aus ihrem Offenbarungsverständnis heraus Gott als Absolutem gegenüber. Absolute und relative Wahrheit können deshalb in keinen Widerspruch geraten. Ebenso unsinnig ist der Widerspruch, der in der Sendung des „Philosophischen Quartetts“ aufgebaut wurde, wenn man die platonische Philosophie der Ideen und (absoluten) Wahrheiten in eine Konfrontation zur aristotelischen Sichtweise bringen möchte, die in der Sphäre des Politischen allenfalls Wahrscheinlichkeiten (also relative Wahrheiten) gelten lassen möchte. Die Existenz der Wahrheit an sich, also der absoluten Wahrheit, schließt doch die Tatsache, dass der einzelne Mensch kaum in der Lage sein dürfte, die absolute Wahrheit in ihrer Fülle zu erfassen, nicht aus. Tatsächlich erlebt der Mensch Wahrheit immer wohl als Wahrheit für sich. Sie bleibt aber nur wahr, wenn sie vor der absoluten Wahrheit Bestand hat. Wahrheit, selbst wenn sie nur Wahrscheinlichkeitsanspruch hat, erhält nur von diesem Bezugspunkt des Absoluten überhaupt Relevanz. Sonst kann Wahrheit nie wahr sein, sondern zerfällt in Beliebigkeit. Genau dieser Aspekt schien in manschen Redebeiträgen des „Philophischen Quartetts“ durch, wenn von Demokratisierung der Wahrheit die Rede war. Heute gilt dies, morgen jenes. Das kann doch nicht wahr sein!
Eine absolute Wahrheit als Bezugspunkt mag für manchen ein Skandalon sein, ein Ärgernis, das uns Menschen in die Pflicht und ihm scheinbar seinen Freiheit nimmt. Ohne diesen Bezugspunkt verliert sich der Mensch aber letztlich im Willkürlichen. Ethik braucht das Absolute, das dem Menschen nicht Verfügbare, an dem der Mensch sein Verhalten und seine Handlungen messen und reflektieren kann.
Aber selbst zu einem Absolutum kann man sich zustimmend und ablehnend verhalten. Hier liegt der tiefste Grund menschlicher Freiheit. Man kann der Kirche wohl schlecht vorwerfen, dass sie ihren Standpunkt verteidigt und sich dabei auf eine absolute Wahrheit beruft, die ihr nach ihrer Auffassung in der Offenbarung vorgelegt wurde. Freilich kann man sich zur Haltung der Kirche verifizierend oder falsifizierend verhalten. Zur Wahrheit gehört dann aber immer auch die reflektierte Rechtfertigung des eigenen Standpunktes. Das gilt aber nicht nur für diejenigien, die sich kritisch zum kirchlichen Standpunkt äußern. Auch die Kirche selbst ist in der Pflicht, ihren Standpunkt mit den Mitteln der Vernunft im Licht des Glaubens, der selbst nicht unvernünftig sein kann, zu begründen. Darauf weist ja schon der erste Petrusbrief hin:
Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt; aber antwortet bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen. (1 Petrus 3,15f)
Vielleicht liegt hier ein Grundproblem der gegenwärtigen kirchlichen Verkündigugn im Großen wie im Kleinen. Die Kirche schafft es nicht mehr, ihre Botschaft plausibel zu verkünden. Glauben ist nicht bloß das Für-Wahr-Halten von Sätzen, sondern auch das Verstehen.
Die Kirche kann man nicht erfinden, genausowenig wie man Wahrheit erfinden kann. Wahrheit kann man erkennen Und wer genau hinsieht, wird erkennen, dass die Kirche bei allen Irrungen und Wirrungen, die sie unzweifelhaft in der Geschichte durchlaufen hat, nur deshalb besteht, weil sie im Letzten auf Gott gegründet ist. Wenn man das aus dem Blick verliert, gerät auch die Kirche aus dem Lot. Dass sie nach 2000 Jahren noch existiert und das „Elefantengedächtnis“ der Welt ist, kann allerdings kein Zufall sein. Die absolute Wahrheit, Gott, überdauert offenkundig das, was Menschen manchmal scheinbar als wahr erschienen ist.
Es ist schon ein eigenartiges Paradox, dass ausgerechnet die Verfechter des Wahrscheinlichen und der relativen Wahrheit sich an dem Anspruch der Kirche reiben. Ohne Fixpunkt gerät das Leben des Menschen offenkundig aus dem Ruder. Der Katholizismus mag wahrhaftig ein Weltkulturerbe sein – aber was für ein lebendiges. Denk mal!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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