Einen neuen Auftrieb hat die Debatte um eine sogenannte „Ethiksteuer“ bekommen, seit vor einigen Tagen der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Ulrich Blum eine solche Abgabe gefordert hat; er will damit die Austrittswelle aus den Kirchen stoppen und Trittbrettfahrer ausbremsen, die die Sozialleistungen der Kirche nutzen, aber nicht bezahlen.
Was ist mit einer solchen Steuer gemeint? Herr Blum schlägt vor, dass jedermann 7 % der Einkommens- oder Lohnsteuer zusätzlich zahlt an eine soziale Organisationen seiner Wahl, vorausgesetzt, sie ist als förderungswürdig anerkannt. Er plädiert damit dafür, dass auch diejenigen, die keiner Kirche angehören, aber dennoch kirchliche und soziale Angebote (Schulen, Kindergärten, Seelsorge, kirchliche Krankenhäuser, Caritas etc.) nutzen können, dies auch mit einem gewissen Betrag unterstützen sollen. Dieser kommt dann zwar nicht kirchlichen Organisationen allein, aber anderen sozialen Einrichtungen wie beispielsweise dem Roten Kreuz zugute.
Zunächst ein kurzer kirchenrechtlicher Hinweis: Es gibt aus katholischer Sicht KEINEN Kirchenaustritt! Die Taufe verleiht ein unauslöschliches Prägemal, was auch durch die Erklärung des Austritts aus der Institution Kirche vor einer staatlichen Behörde nicht verloren geht. Also gehört jeder Getaufte immer zur Kirche! Der Papst hat in einem Motu Proprio kurz vor Weihnachten darauf noch einmal eigens hingewiesen und zwar im Zusammenhang mit der Eheschließung, die für jeden Getauften eine kirchliche sein muss – auch nach einem Kirchenaustritt. Zu beachten ist auch, dass ein Kirchenaustritt – ohne ausdrücklichen Glaubensabfall und vor einer rein weltlichen Behörde – aus der Sicht Roms NICHT automatisch zur Exkommunikation führen kann. Die deutschen Bischöfe vertraten zu dieser Frage bisher eine andere Position, was spätestens nach dieser Erklärung des Papstes (bisher liegt keine offizielle deutsche Übersetzung, daher hier der Link zum lateinischen Original) wohl korrigiert werden muss.
Der Vorschlag von Herrn Blum – der im übrigen wohl auch das Wohlwollen des Hl. Vaters zu haben scheint – hat zu vielen unterschiedlichen Reaktionen geführt, die einen interessanten Einblick in die ideologische Orientierung der Bürgerinnen und Bürger unseres Staates geben. Eine wichtige Frage ist dabei aufgeworfen worden: Wollen wir unseren Staat als Solidargemeinschaft begreifen in dem, wie es die EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann formuliert, die Leistungsstarken zeigen, dass sie einverstanden sind, dass ihr Geld für Leistungsschwache verwendet wird? Ich meine, dass diese Solidargemeinschaft, die jeden einschließt, schon gegen eine Steuer spricht, in der jeder sich aussuchen kann, wer davon profitieren soll. Zu diesem Thema ist beim Kölner Stadtanzeiger ein Kommentar zu lesen: „Ich möchte selbst auswählen, wem ich wieviel zuwende – meine private Wohltätigkeit oder Hartherzigkeit geht den Staat nichts an“. Auch darum geht es in dieser Debatte!
Ein kurzer Exkurs zur Kirchensteuer: Vielfach werden die Kirchen mit dem Vorwurf konfrontiert, Kirchensteuern zu verschleudern, anstatt sie sinnvoll einzusetzen. Um Vorurteilen vorzubeugen, hier eine Übersicht über die Verwendung der Kirchensteuermittel des Erzbistums Köln im letzten Jahr (die Kirchensteuereinnahmen machen 85% des Haushaltes des Erzbistums aus):
– Die territoriale Seelsorge machte mit 210 Mio. (46,2%) den größten Anteil aus. Dieses Geld wird zur Finanzierung der Kirchen vor Ort, also jeder einzelnen Pfarrei verwendet. Hiervon werden Kirchen instand gehalten, Mitarbeiter bezahlt, Kindergärten unterhalten und vieles mehr.
– Der zweithöchste Posten ist jener der Erzbischöflichen Einrichtungen und Verwaltung mit 67 Mio. (14,8%). Sicherlich ist dies ein großer Teil, jedoch gehören zu diesen Einrichtungen auch beispielsweise die Ausbildungsstätten für Priester und Diakone, Bibliothek, Archiv und Museum sowie die gesamte Verwaltung des größten deutschen Bistums.
– Der Bereich Caritas schlägt im Bistumshaushalt mit 44 Mio. zu Buche, dies ist sicherlich eine der wichtigsten Aufgaben der Kirche. Beispielsweise unterhält die Caritas im Erzbistum Köln 57 Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft, 160 Alten- und Altenpflegeheime und knapp 840 Kindergärten um nur einige Beispiele zu nennen.
– Für Bildung gab das Erzbistum im Jahre 2009 gut 9% der Kirchensteuermittel aus. Hochschulen, Bildungshäuser, Familienbildungsstätten etc. wurden also mit 42 Mio. unterstützt.
– Der Bereich „Kategoriale Seelsorge“ kostete das Bistum knapp 30 Mio. Hiermit wurden beispielsweise Krankenhausseelsorger, Gefängnisseelsorger oder auch die Schulsseelsorge finanziert.
– 4,9% der Kirchensteuermittel (etwa 22 Mio.) wurden für Investitionen genutzt, weitere 20 Mio. kostete die Erhebung der Kirchensteuer durch den Staat (dieser erhielt also 4,5% der Kirchensteuermittel als sogenannte „Hebegebühr).
– Für Mission und Entwicklungshilfe wurden im vergangenen Jahr 15 Mio. aufgewendet. (vgl. zu dieser Aufstellung: http://www.erzbistum-koeln.de/erzbistum/bistumsverwaltung/hauptabteilungen/finanzen/kirchensteuer/)
Ich denke, an dieser Aufstellung wird deutlich, wie vielfältig die Kirchensteuermittel eingesetzt werden und vor allem, dass jeder auch in der einen oder anderen Weise Nutznießer dieser kirchlichen Angebote ist oder jedenfalls sein kann.
Ich halte es für dringend erforderlich, dass jeder, der erwägt aus finanziellen Gründen aus der Kirche auszutreten (auch die Ethiksteuer würde diesen Trend wohl nicht umkehren können) sich einige Gedanken dazu macht:
– Dass wir in einer Verantwortung auch für den anderen leben. Wie bereits vorher erwähnt gehört es zu den wesentlichen Prinzipien sowohl der Kirchen wie auch unseres (Sozial-) Staates, dass die Leistungsstarken die Leistungsschwachen unterstützen. So ist es auch auf der Seite des Erzbistums auf die Frage, warum es überhaupt die Kirchensteuer gebe, zu lesen: „Eine Gemeinschaft ist auf die finanzielle Hilfe ihrer Mitglieder angewiesen, um gemeinsame Aufgaben finanzieren zu können. (…) Die Lasten sind auf die Mitglieder der Solidargemeinschaft entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit aufgeteilt.“ (http://www.erzbistum-koeln.de/erzbistum/bistumsverwaltung/hauptabteilungen/finanzen/kirchensteuer/faq.html)
– Dass sicherlich niemand einen Schaden aus der Erbringung der Kirchensteuer erleidet. Ein Rechenbeispiel der EKD zeigt, dass ein verheirateter Arbeitnehmer mit zwei Kindern und einem Monatsbruttoeinkommen von 3000€ in der Steuerklasse 3 monatlich 3,40€ Kirchensteuer zahlt.
Darum ist aus meiner Sicht das finanzielle Argument für einen Kirchenaustritt häufig (nicht immer) nur ein vorgeschobenes. Daraus müssen wir als Kirche Konsequenzen ziehen. Wir müssen (und zwar nicht nur die Hauptamtlichen, sondern jeder Einzelne) Zeugnis von dem geben, an das wir glauben. Wir müssen im wahrsten Sinne des Wortes über-zeugend sein!
Wir müssen uns alle gemeinsam bemühen, dem Austrittstrend nicht mit Lethargie und Selbstmitleid zu begegnen, sondern die Menschen mit ihren Anliegen, die sie zu diesem Schritt bewegen, ernst zu nehmen. Sind es wirklich die Fragen von Zölibat und der – vermeintlich – rigiden Haltung der Kirche zur Unauflöslichkeit der Ehe und zur Sexualmoral? Liegt es an einzelnen Bemerkungen von Bischöfen und Papst, die einigen bisweilen aufstoßen? Oder liegt es an etwas ganz anderem?
Wenn ich in einem Forum, in dem sich junge Menschen über ihre bevorstehende Trauung austauschen, lese: „Wir haben einen Ehevorbereitungskurs bei der Kirche gemacht, aber über Gott wurde da nicht gesprochen, denen scheint ihr Glaube unangenehm zu sein“ liegt dann nicht viel eher da das Problem? Wir trauen uns nicht mehr, die Frohe Botschaft weiterzusagen und deshalb stehen die Zeitungen und Internetforen voll damit: „der Papst hat dieses gesagt und Kardinal Meisner jenes und das ist aus diesen oder jenen Gründen völlig veraltet und natürlich für unsere Generation vollkommen unbrauchbar“ und eben nicht (von einzelnen Situationen wie Weltjugendtagen o.ä. abgesehen): „der Glaube an den Schöpfer und Erlöser dieser Welt ist das tragfähigste Fundament, das ein Mensch sich wünschen kann!“ Warum zeigen wir das nicht? Warum lassen wir uns kleinreden von Debatten, die die Realität der Menschen nicht betreffen. Wir diskutieren seit Wochen über den Vorschlag von Herrn Blum, eine Ethiksteuer einzuführen, um Kirchenaustritte zu stoppen. Warum erzählen wir der Welt nicht viel deutlicher, dass in den ersten Tagen dieses Jahres Zigtausende von Kindern und Jugendlichen bei frostigen Temperaturen als Sternsinger durch die Straßen gezogen sind, um den Menschen den Frieden Gottes zu wünschen, der sich – da bin ich sicher – weder für Kirchen- noch für Ethiksteuern interessiert, sondern dafür, dass wir uns – jeder Einzelne – in seiner unendlichen Liebe aufgehoben wissen. Das beinhaltet aber eben auch, dass wir diejenigen, die ohne unser Zutun diese Liebe nicht mehr spüren können, weil physisches, materielles oder psychisches Leid sie bedrücken, auffangen. Damit die Kirche aber diese Menschen nicht nur ideell, sondern eben auch konkret materiell – sei es durch Beratungsstellen, Krankenhäuser oder auch Lebensmittelgutscheine und Armenküchen – unterstützen kann, benötigt sie die Solidarität aller, die sich in der Zahlung der Kirchensteuer – und soweit möglich weiterer, dann freiwilliger, Spenden – zeigt.
Bleiben Sie in der Kirche und solidarisieren Sie sich mit Ihren Mitmenschen! Die Kirchensteuer ist keine Bereicherung der Kirchen, sondern ermöglicht eine Bereicherung unserer Gesellschaft.
Um falschen Schlussfolgerungen vorzubeugen: Dies soll in keiner Weise die Arbeit und die notwendige Unterstützung anderer sozialer Institutionen schmälern. Die vielen verschiedensten Organisationen leisten großartige Arbeit, die dringend erforderlich ist und die in jedem Fall unterstützenswert ist. Dies aber gegeneinander auszuspielen: „Jeder darf sich aussuchen ob er die Kirche unterstützt oder das Rote Kreuz (um bei einem Beispiel zu bleiben)“ erscheint mir wenig hilfreich.
Ich freue mich über einen regen Austausch zu diesem Thema.
Ihre Katharina Nowak
Vielen Dank Frau Nowak für diesen ausführlichen Beitrag.
In dieser Disskusion habe ich, bis jetzt, eine tieferen Einblick vermisst.
In der Presse fehlt mir oft der Blick hinter die Kulissen, vielmehr habe ich den Eindruck, dass man lieber die Konfrontation der Protagonisten in den Mittelpunkt stellt, statt den Kern der Sache zu beleuchten.
Dies scheint mir auch bei der momentanen Berichterstattung in der Disskusion um die Predikt von EKD-Ratsvorsitzende Frau Käßmann der Fall zu sein.
Als Beispiel sei hier nur die Überschrift auf spiegel-online vom 14.1.2010 erwähnt:
„Power-Protestantin schaltet auf Angriff“
und weiter
„Die Politik weicht aus – die Kirche mischt sich ein:“
Ich denke nicht, dass es Frau Käßmann um das Vorführen einzelner Politiker geht sondern vielmehr um die Diskkusion an sich.
Dies sehe ich ebenso in der Diskkusion um die Ethiksteuer.
Besten Dank
Christoph Schönbach