Die Diskussion um die Aussagen von Bischöfin Käßmann
Ein kath.de-Wochenkommentar von Theo Hipp (vom 22.1.2010)
Eine Predigt mit Wirkung, wie sie nach der Neujahrspredigt der Ratsvorsitzenden der EKD, Margot Käßmann eintrat, ist etwas Beneidenswertes. Nicht nur Prediger, auch Politiker, Juristen, und sonstige tatsächliche und bemühte Redekünstler ziehen den Hut. Die politische Debatte um Legitimation, Sinn und Ziel des Einsatzes deutscher Soldaten in Afghanistan ist entfacht und sie wird nicht zuletzt durch die mehrfach wiederholte Äußerung Käßmanns am Leben erhalten, die ihre Predigt auch im Licht der Kritik keiner Revision unterziehen will. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, so die Bischöfin, dass ihre Predigt solche Reaktionen auslöse. Was ist der Grund, was ist der Preis?
Oft wurde inzwischen geschrieben und gesagt, Afghanistan sei das Thema ihrer Predigt gewesen, dabei war es nur ein Fallbeispiel unter fünf anderen. Die Predigt war ein Plädoyer, sich – aus der Kraft des Glaubens – nicht billigen Tröstungen zu überlassen („alles wird gut“), sondern mutig auf die heillose Wirklichkeit zu schauen („nichts ist gut“) und darob nicht in Schreckensstarre zu verfallen.
Diese drei Worte „nichts ist gut“ beinhalten Sprengstoff. Wer darf so etwas behaupten, nichts sei gut? Sicher bringt diese Trias Wut, Unzufriedenheit und Ungeduld zum Ausdruck, aber welche Berechtigung hat sie in einer Predigt? Nur rhetorischer Kunstgriff zu sein, das ist zu wenig. Welche theologische oder moralische Brille muss man aufziehen, um dieses aufgerissene Bild betrachten zu können?
Eine Predigt, vor allem, wenn sie vor dem Hintergrund der reformatorisch-protestantischen Theologie entstanden ist, darf diesen scharf kontrastierenden Blick anwenden. „Sola gratia, sola fide, solus Christus“, nur die Gnade, nur der Glaube, nur Christus bewirken letztendlich dass der Menschen heil werden kann, so betont die protestantische Theologie. Der Mensch aus sich selbst steht unter dem Einfluß der Sünde und ist unfähig, aus eigener Kraft Gutes zu wirken. Diese theologische Sichtweise erlaubt es, ein Übel nicht schön reden zu müssen und trotzdem daran nicht zu verzweifeln. Denn der Glaube eröffnet den Zugang zu Jesus Christus durch die Schrift, wir dürfen deshalb hoffen und brauchen nicht vor der mitunter gänzlich nichtig erscheinenden Wirklichkeit resignieren. Der Glaube erlaubt, gebietet und ermöglicht es, höhere Ansprüche zu stellen, moralisch-ethische, und den Mut zu fassen, Unrecht anzugehen, kreativ zu werden. Solches zu sagen ist ureigene Aufgabe der Predigt und unter dem Blickwinkel einer theologisch-grundsätzlichen Existenzanalyse macht es Sinn, zu sagen: Nichts ist gut.
„Nichts ist gut in Afghanistan“ jedoch, hineingesprochen in den Kontext der Debatte um die Bombardierung zweier Tanklastzüge, bei der viele Zivilisten zu Tode kamen, ist nicht nur eine theologische Aussage. Vielmehr riskiert diese Redeweise, als ein pauschales ethisches Werturteil verstanden zu werden. Es bewertet menschliches Handeln als schlecht und hier mit vereinnahmender Eindeutigkeit: Alles ist schlecht. Einer solchen ethischen Pauschalverurteilung hat sich die Predigt grundsätzlich zu enthalten, denn sie soll nach alter Kunst „delectare“ (erfreuen), „docere“ (belehren) und „movere“ (bewegen). Dies wird mit Rundumschlägen eher weniger gelingen. Alles, was einem solchen, im eigentlichen Wortsinn vernichtenden Urteil nachgeschoben wird, hat nur noch wenig aufbauende Kraft – dafür mehr provokative.
Es geht nicht an, die theologische Grundsatzschablone zu nehmen und sie ohne gründliche Fachkenntnis an eine komplexe Wirklichkeit anzulegen um dann festzustellen: Paßt nicht. Das ist übrigens das typische Verhalten der religiösen Fundamentalisten. Einer fairen, sachlichen Bewertung der Situation in Afghanistan ist dadurch der Boden entzogen. Eine solche Bewertung darf, bei aller möglichen Vorbehalte gegen einen militärischen Einsatz, trotzdem das völkerrechtliche Mandat, die zwischenzeitlich eingetretenen, kriegsartigen Veränderungen, der mitunter durchaus als gelungen zu bezeichnende Wiederaufbau der Infrastruktur wie beispielsweise in Mazar e Sharif, die politische Situation und viele andere, von Experten beizutragende Aspekte in Afghanistan nicht übersehen. Die Theologische Analyse und die ethische Beurteilung einer Situation dürfen nicht einfach miteinander vermischt werden.
Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg hat gut daran getan, Frau Käßmann nach Afghanistan einzuladen. Wenn sie vor Soldaten predigen wird, die täglich mehr als andere riskieren, Opfer von Gewalt zu werden, dann wird es ihr nicht schwer fallen, sie davon zu überzeugen, dass es ein klares Friedenszeugnis braucht und Menschen, die sich gegen Krieg und Gewalt auflehnen und dass es mehr Fantasie braucht, um Konflikte zu lösen als nur die Logik der Waffen. Sie kann genau das sagen, was sie in ihrer Predigt gesagt. Gerade die Soldaten werden ihr dabei gerne zustimmen, ebenso wie die Mehrheit der Bevölkerung.Wenn sie aber in zweideutiger Rhetorik verkündet, dass bisher „nichts gut ist in Afghanistan“, mit anderen Worten, wenn sie den Soldaten sagt, ihr riskanter Einsatz sei bislang gänzlich sinnlos, dann wird ihr, sofern ihr etwas an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit liegt, nur eines bleiben: In Afghanistan mit anzupacken und ihre bislang unbekannten Lösungsvorschläge in die Praxis umsetzen.
Theo Hipp
kath.de-Redaktion
Die Predigt von Bischöfin Käßmann im Wortlaut.
Diesen Wochenkommentar des unabhängigen katholischen Nachrichtenportals kath.de ist am 22.1.2010erschienen. Wir übernehmen ihn als Gastbeitrag mit freundlicher Genehmigung der kath.de-Redaktion vom 23.1.2010 (zum Originalkommentar auf www.kath.de).
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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