Amsterdam – das war einmal die Faszination von Tulpen, Freiheit, Hippietum. Für Menschen, die ihre Kindheit und Jugend in den 70er und 80er Jahren verbracht haben, war es oft jener Sehnsuchtsort, den die Band Cora 1984 besang:
„Komm, wir fahren nach Amsterdam. Ich weiß, dass uns nichts passieren kann.“
Dieser Traum ist für Juden spätestens seit dem 7. November 2024 zerplatzt. Die Umstände werden in den Niederlanden noch diskutiert. Wieder einmal. Anhänger des jüdischen Fußballclubs Maccabi Tel Aviv haben offenkundig eine palästinensische Fahne von einem Haus gerissen. Angeblich war das der Anlass für muslimische Jugendliche mit geringer Frustrationstoleranz für eine Hatz auf Juden durch die Straßen Amsterdams, bei denen am Boden liegende Personen getreten und auch Fußgänger überfahren wurden. Am Ende waren 30 Juden verletzt – und das alles wegen einer abgerissenen Fahne? Was glauben Sie denn?
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Die Zeit ist ein hohes Gut. Jede Sekunde, jeder Moment, jeder Augenblick ist einmalig. Was vergangen ist, kann nicht wiedergeholt werden. Es gäbe nichts zu verschwenden, nichts zu vertrödeln. So aber hat man schließlich ein ganzes Leben, scheinbare Zeit im Überfluss. Und dann bekommt man in der Nacht von Samstag auf Sonntag, wenn die Uhren wieder von Sommerzeit auf Winterzeit umgestellt werden, sogar noch eine Stunde geschenkt!
Natürlich wird da nichts geschenkt. Die Lebenszeit ist begrenzt. Auch wenn wir in der Regel weder den Tag noch die Stunde kennen, in der wir das Kontinuum von Raum und Zeit verlassen, man kann sich Zeit weder kaufen noch kann man die Zeit vermehren.
Tatsächlich fließt die Zeit beständig vor sich hin. Die Augenblicke rinnen uns nur so durch die Finger. In unserer irdischen Existenz können wir wirkliche Gegenwart nicht empfinden. Das, was gerade noch auf uns zukam, ist einen Wimpernschlag später schon Vergangenheit. Nichts kommt zurück, alles fließt.
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Ideologien sind stärker als Beton. Mauern aus Steinen kann man überwinden, einreißen, abreißen. Aber die Mauern im Kopf sind nahezu unzerstörbar. Auch 34 Jahre nach der Wiedervereinigung ist nicht wirklich zusammengewachsen, was zusammengehört. Wenn nach soziologischen, ökonomischen oder politischen Umfragen und Untersuchungen die Ergebnisse auf Karten visualisiert werden, kann man nur allzu häufig die alten Grenzen noch erkennen. Was am 3. Oktober 1990 mit Jubel und Feuerwerk begann, hat heute eher den Charakter einer Feierstunde, die in ihrem getragenen Ernst kaum von Trauerfeiern zu unterscheiden ist. Dabei wurde die Wiedervereinigung doch durch den Freiheitsdrang derer ermöglicht, die sich innerlich wie äußerlich eingesperrt fühlten und die Freiheit der Wortes, der Meinung, der Presse ersehnten. Sie waren bereit, Zäune und Mauern zu überwinden. Wo ist dieser Freiheitsdrang geblieben, wo die Freude über Leben in Einheit? Lohnt es sich überhaupt noch, für diese Freiheit zu kämpfen? Was glauben Sie denn?
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Zigarettenkippen auf dem Bürgersteig, die Verpackung des Schokoriegels einfach fallengelassen, die Straße voller Schlaglöcher, marode Schrottimmobilien drohen einzustürzen – dieses Florilegium urbaner Realitäten prägt viele Städte im Westen Deutschland. Wuppertal ist da nicht allein – Gelsenkirchen, Oberhausen, Ludwigshafen: die Liste der Städte, die ihre besten Zeiten hinter sich zu haben scheinen, ist lang. Man fühlt sich nicht abgehängt, zurückgeblieben, nicht gesehen von „den Eliten“, wer auch immer diese Eliten sein mögen.
Im Osten Deutschlands haben sich viele Städte nach der Einheit herausgeputzt: Dresden, das Florenz an der Elbe, erstrahlt in altem Glanz, Leipzig ist eine Reise wird und selbst Görlitz am äußersten östlichen Rand Deutschlands hat sich herausgeputzt. Es sind lebenswerten Orte geworden. Mittlerweile sind auch die materiellen Unterschiede, was Lohn und Rente betrifft, immer geringer geworden oder teilweise sogar verschwunden. Und trotzdem fühlt man sich abgehängt, zurückgeblieben, nicht gesehen von „den Eliten“, wer auch immer diese Eliten sein mögen.
Drüben wie hüben besteht eine fundamentale Einheit in der Befindlichkeit des Abgehängtseins. Vater Staat scheint seine Kinder alleine gelassen zu haben. Was glauben Sie denn?
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Kalendersprüche gehören unter den literarischen Schöpfungen, die die Menschheit hervorgebracht hat, zu den gefährlicheren Gattungen. Ihre in ihrer simplen Bescheidenheit bestechende Logik wird mit Weisheit verwechselt, so dass nur selten jemand danach fragt, ob überhaupt stimmt, was da behauptet wird. In ihrer naiven Einfachheit sind sie freilich unzerstörbar. Sie werden unhinterfragt weitererzählt und bringen nicht selten ganze Denksysteme hervor, die zwar für wahr erachtet werden, obschon sie auf sehr dünnem Eis errichtet sind. Zu den viel verwendeten Sentenzen der Kalenderspruchgattung gehört zweifellos der Satz:
„Worte schaffen Wirklichkeit!“
Er bildet die Basis für die Bemühungen um eine gerechtere Sprache, führt aber bisweilen zu verbalen Eiertänzen, die in ihrer bemühten Ernsthaftigkeit die ihr zugrundliegende semantische Narretei ad absurdum führen.
Letzteres kann man im Bemühen beobachten, Menschen mit Behinderung, die man auch mal „Menschen mit Benachteiligung“ oder „Menschen mit Handicap“ nannte, obschon sich die wenigsten Golfspieler der eigentlich gemeinten Gruppe zurechnen würden, zu bezeichnen. Einfach von Behinderten zu sprechen, erscheint geradezu obszön. Stattdessen schuf man Wortungetüme, die die Betreffenden immer mehr zu Objekten statt zu Subjekten machen. Und all das, weil man denkt, Worte würden Wirklichkeiten schaffen – allein die Behinderung bleibt, egal wie man sie nun nennt. Im Gegenteil: Die Verschleierung erschwert eine positive Beziehung und Teilhabe eher, als sie diese fördert. Wer einen beleibten Menschen als „Dicker“ bezeichnet, könnte sich als echter Freund erweisen, während die Rede von einem „Menschen mit Adipositas“ dieselbe Person mit einer Krankheit behaftet. Das Problem liegt in der Bedeutung, die wir Worten beimessen, denn dass Worte Wirklichkeit schaffen. Was glauben Sie denn?
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Das hohe Gut der Gastfreundschaft wird oft überstrapaziert. Gerade zur Sommerzeit sind es reisefreudige Zeitgenossen gewohnt, endlich in den Urlaub zu fahren, von dem sie glauben, ihn verdient zu haben. Raus aus den Zwängen des Alltags, befreit von beruflichen und privaten Verpflichtungen kann man endlich die Seele baumeln und sich selbst gehen lassen.
Die Einwohner mancher der Reiszielorte, die besonders beliebt sind, empfinden die Gäste allerdings mittlerweile wohl eher als Belastung. In Mallorca und Barcelona demonstrieren die Einheimischen offen gegen einen überbordenden Tourismus, bei dem die Reisenden sich eher nach Art von Heuschrecken gebärden, denn als Gäste. Oft hört man, dass der Tourismus doch Geld bringen und so zum Wohlstand der Reiseregionen beitragen würde. Tatsächlich aber arbeiten dort viele Menschen, die in der Tourismusbranche tätig sind, in prekären Verhältnissen. Gleichzeitig sorgt der Tourismus nach Airbnb-Manier dafür, dass das bezahlbare Dach über dem Kopf für Einheimische immer knapper wird, weil die Wohnungen mittlerweile als lukrative Feriendomizile verwendet werden. Die vertrauten Innenstädte verkommen außerdem immer mehr zu Partymeilen. Wo man ehemals einkaufen konnte, reihen sich jetzt gastronomische Etablissements aneinander, die dem Touristen einheimisches Flair vorgaukeln. Touristen, die die weite Welt sehen wollen, bekommen nur eine teure Illusion einer Weltläufigkeit geboten, die zwar das erwartete Fernweh befriedigt, den Menschen vor Ort aber die Heimat nimmt. Kein Wunder, dass der Tourist inzwischen im besten Fall geduldet, immer öfter aber als Belastung empfunden wird. Das Geld, dass die Reisenden in der Fremde lassen, kompensiert die Beschwerlichkeiten der Einwohner schon lange nicht mehr. Sie sehen von ihm immer öfter auch nichts mehr.
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Religion prägt Charakter, Religion prägt Kultur. Immer noch. Auch wer glaubt, nichts zu glauben, ist von dieser Haltung geprägt. Wie man glaubt oder nicht glaubt, prägt die Sicht auf die Welt, auf die Mitmenschen, das (eigene) Schicksal und das Leben. Was glauben Sie denn?
Es gibt keine gesellschaftlich-kulturellen Monokulturen. Wer die Gesellschaft verstehen will, muss sich auch damit auseinandersetzen, was und wie Menschen glauben und nicht glauben. Das gilt umso mehr, wenn man den eigenen soziokulturellen Horizont verlässt und in Kontakt mit anderen kulturell geprägten Gesellschaften tritt. Wer sich dieser Aufgabe verweigert, weil ja alle irgendwie doch denselben Gott haben und alle Menschen Geschwister sind, wird im besten Fall kommunikative Missverständnisse produzieren; im schlechteren Fall wird der Mangel an religiöser Kenntnis der eigenen religiösen Kultur wie der des Gegenübers womöglich zu schweren Konflikten führen. Nicht ohne Grund weist der große Kommunikator des frühen Christentums darauf hin, dass er sich darum müht, die zu verstehen, denen er gegenübersteht: Den Juden sei er ein Jude geworden, den Gesetzlosen ein Gesetzloser, den Schwachen ein Schwacher – immer mit dem Ziel, die anderen für seine Botschaft zu gewinnen (vgl. 1 Kor 9,20-22).
Wie unterschiedlich religiös geprägte Sprachcodes sein können, kann man an einem ebenso einfachen wie aktuellen Beispiel sehen. Für Christen ist das Symboltier das Lamm. Das Lamm ist wehrlos. Es ist gar nicht fähig zur Gewalt. Gerade weil das Lamm nicht auf Gewalt setzen kann, muss es andere Tugenden ausprägen, um in der Welt bestehen zu können. Nicht ohne Grund gibt Jesus seinen Jüngern einen wichtigen Hinweis mit auf den Weg:
„Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“ (Mt 10,16)
Der Wolf hingegen ist alles andere als arglos. Er ist listig und misstrauisch. Der islamische Gelehrte Ibn Kathîr erinnert daran, dass der Wolf während des Schlafes ein Auge geöffnet habe, um sich angriffsbereit vor Unheil schützen zu können. Der islamische Mystiker Rûmî sieht deshalb im wachschlafenden Wolf eine Metapher größter Gottesnähe.
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Ein Garten, zwei Bäume in der Mitte und erste Erkenntnisse – das muss der Garten Eden sein … oder die Popup-Buga auf dem Platz am Kolk in Elberfeld. Eine von den beiden Anpflanzungen ist jedenfalls ein Paradies, mit dem der Schöpfer sich viel Mühe gegeben hatte. Im sogenannten zweiten Schöpfungsbericht (Gen 2,4-25) wird beschrieben, dass es auf der Erde anfangs noch pflanzenlos, trocken, hart und staubig war. Aber Feuchtigkeit stieg schon aus der Erde auf und tränkte den Erdboden, so dass aus dem Staub eine formbare, erdige Masse wurde:
„Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (Gen 2,7)
Der Mensch tritt hier nicht als krönender Höhepunkt göttlichen Schaffens auf den Plan, sondern als Erstlingswerk Gottes. Matsch macht’s möglich.
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Wenigstens einmal im Jahr verlassen katholische Gläubige die schützenden Mauern der Kirche. Die Monstranz mit dem Allerheiligsten wird durch die Straßen getragen, jenem Stückchen ungesäuertem Brot, das nach katholischem Glauben durch die Konsekration zum Leib Christi selbst gewandelt wurde. Die, die dem Allerheiligsten durch die Straßen folgen, zeigen ihren Glauben mit offenem Visier. Zweifelsohne teilen nicht alle den Glauben an die reale Gegenwart Jesu Christi in der konsekrierten Hostie. Gerade deshalb zeugt es von Freimut, sich öffentlich zu seinem Glauben zu bekennen.
Öffentlicher Freimut – griechisch „Parrhesia“ – ist ein prägendes Wesensmerkmal, zu dem das Neue Testament immer wieder auffordert. Der Autor des 1. Petrusbriefes fordert unumwunden:
„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt.“ (1 Petr 3,15)
Die freimütige Rede ist auch in der aktiven Verkündigung gefordert:
„Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung!“ (2 Tim 4,2).
Leisetreterei scheint offenkundig nicht die Haltung der Zeugen Jesu Christi zu sein.
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Wissen Sie, wer Sie sind? Das ist jedenfalls die Forderung des wiedergewählten CDU-Parteichefs Friedrich Merz. Auf dem eben zu Ende gegangenen CDU-Parteitag forderte er mit gewohnt klarkantigem Ton: „Wir müssen wissen, wer wir sind, wo wir stehen, was wir wollen.“
Bei genauerem Hinschauen schillern die schönen Worte wie Seifenblasen. Wer wissen muss, wer er ist, wo sie steht und was wir wollen … weiß es eben noch nicht. Die Worte sind wie ein ungedeckter Scheck. Das gilt auch für die viel beschworene „Leitkultur“. Auch dieses Wort changiert in vielen Farben. Wer aber immer versucht, diese Leitkultur zu definieren, wird sich zwischen Leberkäs und Labskaus verlieren. Ist hier Brauchtumspflege gemeint (also Bosseln oder Platteln), das Grundgesetz und die dort definierten Grundwerte und -rechte oder die viel beschworene christliche Tradition des Abendlandes (die jüdische hat man ja erst nach der Katastrophe der Shoa entdeckt)? Die „Leitkultur“ bleibt eine Worthülse, die vielsagend nichts sagt.
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