Dies domini – Vierter Adventssonntag, Lesejahr B
Es ist die Zeit der Rückblicke. Vom Ende her betrachtet erscheinen die Erfahrungen und Ereignisse der Vergangenheit in einem besonderen Licht. Was vor Jahresfrist noch nicht zu ahnen war, ist Wirklichkeit geworden. Es gehört wohl zum Menschsein, dass an zentralen Wendepunkten – und dazu gehören auch die Jahreswenden – Bilanz gezogen wird. Wird aus dem, was war, für die Zukunft Gutes werden können?
Man kennt die Ambivalenz der guten Vorsätze, deren Halbwertzeit oft nicht bis zum Ende des nächsten Tages währt. Man kann halt nicht wissen, was kommt; wohl weiß man, was war. Die Summe der Erfahrungen kann nicht geändert werden. Die Hoffnung auf das kommende hingegen ist bleibend flexibel. Was aber ist, wenn nach dem Ende nichts mehr kommt? Was ist, wenn die Bilanz endgültig und eben keine Zwischensumme mehr ist?
Von hier aus betrachtet haben letzte Worte ein besonderes Gewicht. Sie sind so bedeutsam, dass sie von großen Persönlichkeiten nicht nur überliefert, sondern ihnen mitunter sogar in den Mund gelegt werden. Hat Papst Johannes Paul II wirklich „Amen“ gesagt, bevor er starb? Und hauchte Julius Cäsar wirklich mit letzter Kraft „Et tu, Brute“, „Auch Du, Brutus“? Wer kann das schon sagen. Heute, ja heute würde das alles wahrscheinlich live via Smartphone ins Internet übertragen. Ohne diese Profanierung des Endes aber haben letzte Worte die Kraft, Legenden zu bilden. Von Jesus, dem fleischgewordenen Logos, werden sogar sieben letzte Worte überliefert, die er am Kreuz gesprochen, geschrien oder ausgehaucht haben soll.
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Dies Domini – Zweiter Advent, Lesejahr B
Vor wenigen Tagen war in der FAZ ein Leserbrief zu lesen, der wunderbar zur beginnenden Adventszeit passte:
„Ich lese in der Zeitung ‚Weihnachten ist gerettet‘: Eine wahrhaft frohe Botschaft! Das nach einer Verlautbarung der deutschen Ministerpräsidenten ‚für den familiären und gesellschaftlichen Zusammenhalt besonders wichtige‘ Fest kann gefeiert werden. So werden wir alle im trauten Familienkreis zusammensitzen, Glühwein trinken, Gans oder Pute essen und fröhlich sein. Aber – wie ist das Fest eigentlich entstanden? Geht es auf eine Initiative des Einzelhandels zurück? Der Winzervereinigungen? Der Truthahnzüchter? Der Forstwirtschaft? Der Christstollenbäcker? Der Wintersportindustrie? Ich habe lange gesucht“,
so versichert uns der Verfasser,
„und schreibe diesen Brief, um anderen die Mühe des Nachforschens zu ersparen. Wie mir alte Leute berichtet haben, feiern wir Weihnachten im Gedenken an den Weihnachtsmann, der hoch oben im Norden wohnt und uns dank des rotnasigen Rentiers Rudolph alle Jahre wieder Geschenke bringt.“
Der Verfasser, Ruhestandsgeistlicher und –lehrer, weiß, wovon er spricht. Ganz anders ist der Ton eines anderen Theologen, der uns mit Teilen des zweiten Petrusbriefes heute vorgelesen wird – er beschreibt die Wiederkunft des Herrn eindringlich:
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Dies domini – Hochfest Christkönig, Lesejahr A
Die Macht ist ein Dienst. Das wird jedenfalls immer wieder suggeriert. Nein, nicht von den Mächtigen der Welt. Da ist eher von Machtinstinkt die Rede, ja, es wird sogar offen von Machtsicherung gesprochen. Macht ist dort nichts Schmutziges, von dem man sich distanzieren müsste. Ganz im Gegenteil: Nach Macht wird offen gestrebt, offen um sie gerungen; Machtkämpfe gehören zum politischen Alltag. Der Machtverlust hingegen wird beklagt, geleugnet und bisweilen sogar ignoriert. Nur in der Kirche wird in offen geheuchelter Demut davon gesprochen, dass Macht ja eigentlich ein Dienst sei. Das ist ein wunderschöner rhetorischer Trick, mit dem man sich scheinbar klein macht. Wer will schon Diener der Diener kritisieren. So lässt sich leicht Macht ausüben, die ja ein Dienst ist, den man dann aber häufig manch aufstrebendem Wunsch mit dem Hinweis auf ein vermeintliches Machtstreben verwehrt. Macht ist eben nur dann Dienst, wenn man sie verschleiern möchte. Andere, die so dienen möchten, werden die Gefahren der macht vorgehalten, vor denen man sie bewahren möchte. Ein doppelter Doublebind – das ist wahre rhetorische Kunst der Verwirrung, bei der die so Redenden wahrscheinlich selbst nicht mehr wissen, ob sie nun Männlein oder Weiblein, mächtig oder dienend oder was auch immer sind. Das ist eine fein ziselierte Form eloquenter Selbstreferenzialität, die ihresgleichen sucht und dabei aus dem Blick verliert, dass Macht immer nur geliehen ist. So verweist der geschundene Jesus seinen Richter Pontius Pilatus auf die eigentlichen Relationen der Macht, als der zu ihm spricht:
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Dies Domini – 32. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Geht es Ihnen auch so? Manche Bibeltexte, nehmen Sie manche Passage der Apokalypse, sind so dunkel und rätselhaft, jedenfalls für mich, dass ich Mühe habe, einen Zugang zu finden und bei diesem Bemühen bin ich durchaus nicht immer erfolgreich. Andere Texte, denken Sie an die Emmaus-Erzählung, sprechen mich unmittelbar an, sozusagen instant. Die alttestamentarische Lesung des heutigen Sonntags aus dem Buch der Weisheit gehört für mich zu beiden Kategorien.
Wer sie (die Weisheit) am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, er findet sie vor seiner Tür sitzen.“ (Weish 6,14)
Toll, ein wunderbares, märchenhaftes Bild, wie die Weisheit vor meiner Tür sitzt, wenn ich am frühen Morgen hinaustrete, um die Zeitung aus dem Briefkasten zu holen. Aber – was soll das heißen?
„Über sie nachzusinnen, ist vollkommene Klugheit; wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorgen frei.“ (Weish 6,15)
Auch großartig, aber doch auch wieder dunkel: wieso ist es klug, über die Weisheit nachzusinnen? Und wer hätte je bei schlaflosem Grübeln die Erfahrung gemacht, seiner Sorgen ledig zu werden? Sonderbar und rätselhaft.
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Dies domini – 30. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Gott ist parteiisch. Er ist eben kein unbewegter Beweger. Ganz im Gegenteil. Er ist ein bewegter Beweger, eine Dynamik in höchster Potenz, die nicht für sich sein kann. Die Existenz der Schöpfung ist deshalb weder Zufall noch Ausfluss eines willkürlichen Aktes des Schöpfers. Sie ist Folge jenes göttlichen Seins, das selbst Päpste gerne mit dem allzu inflationär verwendeten Wort „Liebe“ bezeichnen. Dabei gleiten die in höchst theologischen Sphären formulierten Gedanken leider allzu oft in jene blutleere Sentimentalität ab, die dem Jubel des Hohenliedes fremd zu sein scheint, wenn der Liebende dort der Geliebten bekennt:
Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm, denn stark wie der Tod ist die Liebe, die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt! Ihre Gluten sind Feuergluten, gewaltige Flammen. Mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen, auch Ströme schwemmen sie nicht hinweg. Böte einer für die Liebe den ganzen Reichtum seines Hauses, nur verachten würde man ihn. Hoheslied 8,6f
Eine Leidenschaft, hart wie die Unterwelt, glutvoll wie Feuer, ja wie gewaltige Flammen, stärker als mächtige Wasserströme – diese Liebe ist gewaltig, vielleicht sogar gewaltvoll; wie sonst könnte sie stärker als der Tod sein? Keine Liebe à la Rosamunde Pilcher ist dazu in der Lage. Die ist zu süß und klebrig, zu kitschig und selbstverliebt, schön anzuschauen, etwas zum Träumen, nichts für das wahre Leben. Kein Wunder: In diesen märchenhaften Liebesgeschichten werden zwar veraschte Puttel zu Prinzessinnen, die den Prinzen bekommen, mit der Hochzeit ist dann aber auch Schluss. Bevor der graue Alltag in den Blick gerät, in dem die ehemals bloß Verliebte als Liebende das graue Einerlei mühsam kolorieren müssen, heißt es: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute … sie leben! Noch! Aber wie? Das würde man doch gerne als Mensch, der im Alltag lebt, wissen … einem Alltag, in dem die Puttel viel zu oft verascht werden von Typen, die vorgaben Prinzen zu sein; der Ernst des Lebens aber entlarvt eben die wahren Gesichter. Auf dem Spielfeld des Alltags erweist sich, wer Prinz und wer Prunz ist und manche, die Prinzessin sein wollte, ist eben doch nur die böse Stieftochter … Schmetterlinge fliegen eben nur einen Sommer lang. Erst, wer auch die Raupen des Alltags lieben kann, begreift, was Liebe ist: Hart wie der Alltag, stärker als die Unterwelt, gewaltig wie Feuergluten! Dahin aber muss man erst einmal kommen, den nächsten zu lieben, wie er ist und nicht, wie man ihn haben möchte …
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Dies Domini – 28. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Vor einigen Tagen hatte ich die Gelegenheit, an einem sehr würdigen, ökumenischen Gedenkgottesdienst eines Hospiz-Vereins für die Verstorbenen des vergangenen Jahres, die Ehrenamtliche des Vereins begleitet hatten, teilzunehmen. Dort wurde auch ein bekanntes schwedisches Märchen vorgelesen, das aus der Perspektive von allerlei Tieren und Pflanzen, ja sogar Naturereignissen die Welt beschrieb. So war das Leben für den Maulwurf, wen wundert es, ein Kampf im Dunkel, für den Schmetterling ein Fest des Naschens und den Regen ein einziges Tränenmeer, während am Ende die Morgenröte zusammenfasst:
„Wie ich der Beginn des kommenden Tages bin, so ist das Leben der Anbruch der Ewigkeit.“
Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, für den ist die Welt voller Nägel, sagt ein kluges Sprichwort. Kein Wunder also, dass jeder das Leben mit seinen Erfahrungen, seinen Bildern und Begriffen, eben aus seiner persönlichen Perspektive empfindet und beschreibt. In den Texten des heutigen Sonntags fällt auf, wie intensiv der Himmel, das Reich Gottes, die Ewigkeit mit dem Bild des Festes beschrieben wird.
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Dies Domini – 26. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Viel ist in diesen Tagen von Umkehr die Rede – und das nicht nur, weil die Kleruskongregation des Vatikan am 20. Juli 2020 die Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“ veröffentlicht hat. Zur Umkehr wird auch gerne aufgerufen, wenn die Diskussionen in der Kirche zu Stellungskämpfen geronnen sind, die keinen schöpferischen Fortschritt mehr erhoffen lassen. Gefangen in den je eigenen Schützengräben werden zwar immer schwerere Geschütze aufgefahren, die die Gegenseite zur Kapitulation zwingen sollen; in der Kirchensprache wird dann auch gerne die Forderung zur Umkehr ausgesprochen, die selbstverständlich immer der Gegenseite gilt. Die anderen sollen umkehren und gefälligst ihre Positionen räumen, die wahlweise als antiquiert, verstaubt, nicht mehr katholisch oder modernistisch bezeichnet werden. Wie in Stellungskämpfen übrig, wird es so freilich keine Sieger, dafür viele Verlierer geben, Verwundete und Verletzte auf allen Seiten. Eine verheerende Verwüstung ist das, was übrig bleibt. Das Leben flieht solchen Situationen, in denen immer nur die anderen umkehren sollen. Man selbst möchte schließlich bleiben, wie man ist. Fatalerweise wähnen sich alle auf allen Seiten im Besitz einer Wahrheit, die sich aus dem Schlachtfeld ohrenbetäubender Argumente längst ins Niemandsland zurückgezogen hat. Die Wahrheit ist halt ein verschwebender Hauch. Wer sie zu besitzen glaubt, hat sie wohl schon längst verloren. Wahrheit kann man nicht haben, nur hören, ahnen, sich ihr nähern. Die Gerechten wussten das zu allen Zeiten, verloren sie ihre Unschuld doch immer dann, wenn sie der Wahrheit Recht verschaffen wollten und ihre Autorität in dem Moment zur Gewalt wurde, wo sie die Größe der Wahrheit auf das Format zu kleiner Herzen schrumpften. Das ist wohl der Moment, in dem Gott, der Herr, in der ersten Lesung vom 26. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A durch seinen Propheten Ezechiel gegen sein eigenes Volk aufbegehrt:
Ihr sagt: Der Weg des Herrn ist nicht richtig. Hört doch, ihr vom Haus Israel: Mein Weg soll nicht richtig sein? Sind es nicht eure Wege, die nicht richtig sind? Wenn ein Gerechter sich abkehrt von seiner Gerechtigkeit und Unrecht tut, muss er dafür sterben. Wegen des Unrechts, das er getan hat, wird er sterben. Ezechiel 18,25f
Das Wähnen des Besitzes der Wahrheit wird also offenkundig schnell zum Wahn – vor allem dann, wenn man den Höchsten und Ewigen zähmen und dem eigenen Denken gefügig machen will. Wie oft hört man auch heute noch in Verlautbarungen und Predigten, was Gott vermeintlich so alles will – als hätten die Prediger – und in diesem Fall sind es in der römisch-katholischen Tradition dann tatsächlich nur Männer – morgens zum Frühstück noch persönlich mit dem Schöpfer einen Plausch gehalten. Dabei liegt auf dem Frühstückstisch die alles entscheidende Frage in der Regel offen vor Augen: Was war früher? Das Ei oder das Huhn?
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Dies domini – 24. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Vor wenigen Tagen berichteten die Medien vom „Bibelstellen-Ping-Pong“, mit denen sich einige Bischöfe im Zuge des Synodalen Wegs mit der jüngsten Pastoralinstruktion aus Rom „auf Proseminar-Niveau“ beschäftigt hätten. Solche Bibelstellen-Verwendung zur Untermauerung eigener Ansichten ist beliebt: vor einigen Wochen schilderte ein Leser der Kölner Kirchenzeitung in einem Leserbrief die Wirren und Unklarheiten, die sich daraus ergäben, dass im Neuen Testament gelegentlich von den Brüdern und Schwestern des Herrn die Rede sei, wo doch die unfehlbare Lehre der Kirche von der einzigartigen und immerwährenden Jungfräulichkeit der Gottesmutter spreche. Man sehe aber doch an Johannes 19, 25ff, dass Jesus keine Geschwister gehabt haben könne, da er doch sonst keinen Anlass gehabt hätte, Maria Johannes anzuvertrauen. Schon bald äußerte ein weiterer aufmerksamer Leser seine Befriedigung, dass nun für ihn auch dieser letzte Zweifel an der immerwährenden Vertrauenswürdigkeit der unfehlbaren Lehre der heiligen Kirche „Gott sei Dank“ ausgeräumt sei. Ja, wer seine Weltanschauung für ein filigranes, gleichsam gotisch-kristallines Weltgebäude ansieht, der muss natürlich fürchten, dass ihm eine Fiale aus dem himmlischen Jerusalem auf den Kopf fällt, wenn einer kommt, ihm einen kleinen Stein aus seinem Gewölbe der Ideen herauszubrechen. Dass diese Schlussfolgerung aus den Worten Jesu am Kreuz zu Johannes und seiner Mutter nicht zulässig ist, weil der Evangelist nicht über die Familienverhältnisse Jesu Auskunft erteilen will, ergibt sich schon im Umkehrschluss, weil ja sonst Johannes mutterlos sein müsste, um sich als der Sohn Mariens um sie zu sorgen. Schließlich spricht der Vers auch vom Anvertrauen Johannes’ an Maria. Diese These hat aber bisher wohl noch niemand vertreten.
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Dies Domini – 22. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Den lieben Gott gibt es nicht. Er wird zwar allenthalben verkündet. Vor allem Kindern gegenüber redet man oft und gerne auf diese Weise vom Höchsten, der höchstens harmlos ist. Ja, sogar in Predigten wird Erwachsenen, deren Sinne doch durch Gebrauch geübt sein sollten, Gut und Böse zu unterscheiden, und die deshalb der Zeit nach selbst schon Lehrerinnen und Lehrer sein müssten (vgl. Hebräer 5,12-14), die Banalität der Rede vom „lieben Gott“ zugemutet – eine Rede, die früher oder später in Aporien führt, wird doch die klassische Frage, warum Gott Leid zulässt, durch die Rede von einem „lieben Gott“ nicht nur leichter; sie führt die Rede vom „lieben Gott“ sogar ad absurdum. So kann es nicht wundern, dass eine solche Rede, die bei Kindern noch gut gemeint ist, schon dann nicht mehr verfängt, wenn die Kinder etwas älter sind und spätestens im Jugendalter vollends dekonstruiert wird. Tritt dann an diese Stelle keine reflektierte Weiterentwicklung der Gottesansprache, werden Gebet und „lieber Gott“ ebenso entsorgt wie der Weihnachtsmann, das Christkind und der Osterhase – alles Helden einer frühen Kindheit, über die schon der Jugendliche nur noch müde lächeln kann. Was kann man von einem solchen höchst Harmlosen schon erwarten, der einfach nur lieb ist. Helfen konnte der „liebe Gott“ offenkundig schon nicht, als der Hamster das Zeitliche segnete, das Kaninchen starb oder das Lieblingsstofftier nach intensivem Gebrauch sein Innerstes offenbarte und deutlich machte, dass vieles im Leben nicht nur vergänglich ist, sondern sich auch Stoff und Schaum offenbart.
Denen jedenfalls – seien sie noch Kind, jugendlich oder erwachsen – noch an den bloß „lieben Gott“ glauben, dürfte bei den ersten Worten der ersten Lesung vom 22. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A ein gehöriger Schreck in die Glieder fahren, wenn der Prophet Jeremia verstört von der Betörung Gottes, die ihn ergriffen hat, spricht:
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Dies Domini – 11. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Frömmigkeit feit vor Fehlern nicht. Schon gar nicht, wenn sich Frömmigkeit zur Überheblichkeit eines Bewusstseins außergewöhnlicher Erwähltheit entwickelt, die lässig auf all die herabschaut, die man für weniger fromm hält, als man es selbst ist. Gerne spricht der Fromme dann von den „Heiden“ und urteilt über alles, was nicht in sein Weltbild passt als „heidnisch“, vor allem dann, wenn er es mit Menschen zu tun hat, die vermeintlich ungläubig sind.
Freilich zeugt eine solche Denkweise von einer fundamentalen Wissenslücke, bezeichnet das Wort „Heide“ in den deutschen Übersetzungen des Neuen Testamentes meist jene Menschen, die im griechischen Urtext als ἔθναι (éthnai) bezeichnet werden. Der Begriff leitet sich von ἔθνος (éthnos) ab, der einfach „Volk“ bedeutet. Das ἔθνος τοῦ θεοῦ (éthnos toû theoû) ist das Volk Gottes. So bezeichnet sich das Volk Israel selbst. Davon werden die ἔθναι (éthnai) abgegrenzt – die Völker. Im Griechischen entsteht auf diese Weise ein signifikanter Unterschied, der semantisch aber doch Verwandtschaften zeigt. Theologisch hingegen liegen Welten zwischen Israel und den Völkern, wie er im Hebräischen zum Ausdruck kommt. Es ist Israel, mit dem Gott einen Bund geschlossen hat, wie es in der ersten Lesung vom 11. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A heißt:
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