Dies Domini – Fest Taufe des Herrn, Lesejahr A
Es ist Zeit für den Übergang. Mit dem Fest „Taufe des Herrn“ beginnt die Zeit des Jahreskreises. Die Weihnachtszeit ist zu Ende. Sie schimmert aber im Fest „Taufe des Herrn“ noch durch, das eben auch ein Epiphaniefest ist. Es leuchtet auf, dass Gott in dem Menschen Jesus gegenwärtig ist. In ihm werden sich die messianischen Verheißungen, von denen Jesaja in der ersten Lesung des Festes „Taufe des Herrn“ im Lesejahr A spricht, Erfüllung finden:
„Ich, der Herr, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, ich fasse dich an der Hand. Ich habe dich geschaffen und dazu bestimmt, der Bund für mein Volk und das Licht für die Völker zu sein: blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und alle, die im Dunkel sitzen, aus ihrer Haft zu befreien.“ (Jesaja 42,6f)
Es ist Zeit für den Übergang. Johannes der Täufer ahnt wohl bereits, dass der, der da kommt, größer ist als er selbst. Seine Taufe war ja eine Bußtaufe. Er, Johannes, müsste im Angesicht Jesu Buße tun. Jesus aber bittet um die Taufe, „wir die Gerechtigkeit, die Gott fordert, ganz erfüllen“ (Matthäus 3,15) können. Aber welche Gerechtigkeit fordert Gott da?
Die Taufe, die Untertauchung unter das Wasser, selbst ist eine alte Praxis, die auch im Judentum bekannt ist. Noch heute gibt es in jeder Synagoge eine Mikwe, ein Tauchbad, das zu bestimmen rituellen Anlässen genutzt werden kann. Die Untertauchung ist ein Zeichen eines Neubeginns. Im Untertauchen stirbt Altes, das im Auftauchen neu geboren wird. Es ist kein Wunder, dass die Taufe für die Christen zum Sakrament wurde, indem die Neugetauften in der Taufe auf Kreuzestod und Auferstehung in die Schicksalsgemeinschaft mit Jesus eintauchen und neu geboren werden. Das ist etwas anderes als in der Taufe Jesu geschieht – und doch ist es eng miteinander verbunden. Für Jesus wird die Taufe zum Fanal. Sie steht am Beginn seines öffentlichen Wirkens, das mit der Offenbarung, dass er der geliebte Sohn des Höchsten ist, anfängt und in Kreuzestod und Auferstehung seine Erfüllung finden wird, wie es in der zweiten Lesung aus der Apostelgeschichte heißt:
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Dies Domini – Fest der Heiligen Familie/Sonntag in der Weihnachtsoktav, Lesejahr A
Als Gottes Wort die Welt ins Dasein brachte, schuf er als erstes die Zeit. Noch bevor Gewölbe, Himmel und Erde, Pflanzen, Sonne, Mond und Sterne entstehen, schafft er zuerst das Licht, das er von der Finsternis scheidet. Die Finsternis nennt er Nacht, das Licht Tag. So kann es Abend und Morgen werden – der erste Tag. Noch bevor irgendetwas anderes entsteht, Materie oder Raum, ist die Zeit da. Die Zeit ist vor allem anderen da:
Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. Genesis 1,3-5
Der Wechsel von Dunkelheit und Licht, von Nacht und Tag, bildet einen Rhythmus, aus dem Zeit entsteht. Eine wahrlich meisterhafte Schöpfungstat, denn die Zeit trennt uns Vergängliche von der unvergänglichen Ewigkeit. Die Zeit ist Werden und Vergehen, die Ewigkeit pures Sein in reinster, unvergänglicher und doch hochdynamischer Gegenwart. Die Zeit ist so gewissermaßen die Schwelle, die alles zeitliche Sein von der Ewigkeit trennt. In der Tat: Niemand kann die Zeit zurückdrehen. Sie ist ein stetiges Fortschreiten, ein Werden und Vergehen, irreversibel, aus der Ewigkeit kommend und in die Ewigkeit führend. Niemand, dessen Existenz zeitlich bestimmt ist, kann die Zeit verlassen, um in die Ewigkeit zu schauen. Es mag einige Mystikerinnen und Mystiker geben, denen eine solche Schau wenigstens schemenhaft vergönnt war. Was auch immer sie erfahren haben: Auch den mystisch begabten Zeitlichen ist es nicht gegeben, die richtigen Worte für das zu finden, was ihnen widerfahren ist. So sagt schon Paulus – wahrscheinlich über sich selbst:
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Dies Domini – Dritter Adventssonntag, Lesejahr A
Wer dieser Tage in den Buchhandlungen unserer Fußgängerzonen nach Weihnachtsgeschenken stöbert, wird, sofern die Buchhandlung noch Bücher im Sortiment hat, unweigerlich auf den neuen Thriller von Richard Harris treffen, der im Titel den zweiten Schlaf führt und sich zunächst wie eine etwas düstere Version von Umberto Eco‘s „Der Name der Rose“ anlässt, dann aber recht plastisch deutlich macht, dass wir wohl nicht in einer mittelalterlichen Vergangenheit, sondern eher in einer archaischen Zukunft leben. Ein genialer Trick, der neben seiner dramaturgischen Bedeutung zugleich den Blick auf die Verletzlichkeit unserer Zivilisation lenkt und die Frage aufwirft, wieso wir eines Morgens nach der Apokalypse in der Hand unserer Kirche aufwachen und uns lieber heute als morgen davonmachen möchten und uns ihrem Zugriff entwinden wollen.
Die Lesungen unseres Sonntags lassen uns das dystopische Grauen eines in und durch die Kirche schon angebrochenen Gottesreichs nicht erahnen: ist es bei Jesaja noch Zukunft, dass
„jubeln werden die Wüste und das trockene Land, jauchzen wird die Steppe und blühen wie die Lilie. (… ) Augen werden den Blinden aufgetan und Ohren den Tauben geöffnet“ (Jes 35,1ff.),
so antwortet Jesus dem Johannes schon als Bericht über eingetretenes:
„Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet.“ (Mt 11,5)
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Die Domini – Erster Adventssonntag, Lesejahr A
Die Schöpfung beginnt mit der Ordnung der Zeit. Abend und Morgen bilden den ersten Tag noch bevor die Räume der Welt entstehen (vgl. Genesis 1,2-5). Das Licht ist Tag und die Finsternis ist Nacht. Sonne, Mond und Sterne, ja Himmel und Erde – all das wird erst später erschaffen. Die Erschaffung der Zeit bildet das Fundament der Schöpfung. Die Zeit bringt die erste Ordnung in das Chaos und Tohuwabohu. Es ist der Geist Gottes, der die Ordnung hervorbringt. Die Zeit selbst ist das Werk des Geistes Gottes. Er wirkt in der Zeit. Er ist der Geist der Zeit. Sollte es möglich sein, dass die, die den Zeitgeist oft verfemen, da voreilig urteilen?Es ist wieder Advent – Ankunftszeit. Dabei ist der Advent eine Zwischenzeit. Es ist die Zeit vor dem Weihnachtsfest, dem Fest er ersten Ankunft Gottes in menschlicher Gestalt. Gleichzeitig belebt der Advent die Hoffnung auf die verheißene Wiederkunft Jesu Christi, seine zweite, neue Ankunft. Wann und wo sich diese Ankunft ereignet, ist weder berechenbar noch bekannt. Alle Versuche, den jüngsten Tag zu berechnen, sind nicht nur zu Recht gescheitert; sie übersehen auch das Wort Jesu selbst, das am Ende des Evangeliums vom 1. Advent im Lesejahr A steht:
„Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.“ (Matthäus 24,44)
Das Wort Jesu selbst ist offen. Er sagt nicht, dass sich seine Wiederkunft in Raum und Zeit selbst ereignet. Er sagt auch nicht, dass sie sich nicht in Raum und Zeit ereignet. Seine erste Ankunft jedenfalls vermählte Zeit und Ewigkeit, in dem der Ewige sich entäußerte und sich in seine Schöpfung selbst hineinbegab.
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Dies Domini – 33. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
In der ersten Lesung des heutigen Sonntags spricht aus dem letzten Buch des Alten Testaments der Prophet Maleachi zu uns und zeigt in apokalyptischen Bildern, dass man schon damals – auch ohne Trump und Klimakatastrophe – das Ende der Welt nahen sah:
„Seht der Tag kommt, er brennt wie ein Ofen: Da werden alle Überheblichen und Frevler zu Spreu und der Tag, der kommt, wird sie verbrennen, spricht der Herr der Heere.“ (Mal 3,19)
Heute würden wir sicher nicht so exklusiv zwischen den Überheblichen und Frevlern, und denen, die den Namen des Herrn fürchten, trennen wollen, weil uns einerseits mehr bewusst geworden ist – und immer mehr wird – , dass wir selbst vielleicht auch als Frevler, mindestens an unserer Umwelt und oft auch an unseren Mitmenschen, gelten müssen. Und wir würden wohl auch nicht mehr so exklusiv für uns die Nähe zu Gott in Anspruch nehmen, weil ja auch in Menschen anderen Glaubens durchaus eine ehrliche Gottesfurcht herrschen kann, wenn die sich auch von der unseren unterscheiden mag.
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Dies Domini – 31. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Kein neues Thema, sondern schon Paulus kannte dieses Phänomen, wie dem heutigen Lesungstext zu entnehmen ist:
„Lasst euch nicht so schnell aus der Fassung bringen und in Schrecken jagen, wenn in einem prophetischen Wort oder einer Rede oder in einem Brief, wie wir ihn geschrieben haben sollen, behauptet wird, der Tag des Herrn sei schon da!“ (2 Thess 2,2)
Offensichtlich waren also auch die Menschen damals schon mit Nachrichten konfrontiert, die keinen Wahrheitsgehalt hatten, aber dennoch in Angst und Schrecken versetzt haben. Dennoch haben die heutigen Fakenews wohl eine neue Qualität, da die Menschen damals – vermutlich – nur aus Unwissenheit und eigener Unsicherheit Unwahres verbreitet haben, dies aber heute oftmals gezielt eingesetzt wird, um Menschen zu manipulieren und die eigenen Interessen voranbringen zu können. Erschreckenderweise – dies fiel mir bei der Vorbereitung für diesen Text auf – ist der erste Treffer, wenn man in eine große Suchmaschine „fakenews“ eingibt „fake news erstellen“. Offenbar ist es inzwischen eine Art Volkssport, andere Menschen in die Irre zu führen.
Vorsicht sollte hier geboten sein, denn – auch darum geht es in einem der heutigen Texte, Gott liebt zwar alles an und in seiner Schöpfung, aber er möchte doch alles nach und nach wieder ins rechte Lot bringen, das auf einem Irrweg gelandet ist:
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Dies Domini – 29. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Die Kirche der Gegenwart gleicht einer Mangelwirtschaft. Glaubensmangel, Priestermangel, Gemeindemangel, Gläubigenmangel sind in aller Mund. Vor allem die Gläubigen – so scheint es in vielen Äußerungen derer, die in der Kirche Verantwortung zu tragen vorgeben – scheinen Mangelexistenzen zu sein. Das zweite Vatikanische Konzil erinnert die Bischöfe und die Pfarrer als deren Mitarbeiter im Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe „Christus Dominus“ daran, dass es ihr Auftrag und ihre Sorge ist,
„dass die Feier des eucharistischen Opfers Mitte und Höhepunkt des ganzen Lebens der christlichen Gemeinde ist. Ferner sollen sie darauf hinwirken, dass die Gläubigen durch den andächtigen und häufigen Empfang der Sakramente und durch die bewusste und tätige Teilnahme an der Liturgie mit geistlicher Speise genährt werden.“ (CD 30)
Stattdessen aber wird in Diskussionen angesichts sich abzeichnender geringer werdender Priesterzahlen die Gläubigen aufgefordert, sich übergemeindlich zu Eucharistiefeiern zu versammeln, wobei nicht selten die Bereitschaft, auch größere Entfernungen in Kauf zu nehmen, als Gradmesser eines lebendigen Glaubens herhalten muss. Da wird nicht danach gefragt, ob die Bewältigung größerer Entfernungen für ältere oder gehbehinderte Menschen überhaupt möglich ist. Es spielt auch keine Rolle, dass eine Gemeinde immer auch als Leib Christi ein lebendiger Organismus ist, den man nicht einfach mal so transplantieren kann, ohne dass es zu unerwünschten Begleiterscheinungen kommen kann. Stattdessen werden abstruse Ideen ins Spiel gebracht, man könne ja Busunternehmen beauftragen, die Menschen an zentralen Orten zum Gottesdienst zusammenzukarren. Ob so eine wirklich neue lebendige Gemeinde anstelle der real existierenden Gemeinden wachsen kann, wenn der Plan der Busshuttles jedes Beziehungsgeschehen bestimmt? Kann hier die Eucharistie wirklich noch „Mitte und Höhepunkt der christlichen Gemeinde“ sein, wenn die Gemeinde als solches offenkundig und bestenfalls nur noch als strukturelle Größe, aber nicht mehr als organisch gewachsener Leib Christi gedacht wird?
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Dies Domini – 23. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Ratlos und etwas resignativ, so würde ich den ersten Eindruck beschreiben, den diese Woche und die Lesungen des heutigen Sonntags bei mir hinterlassen haben. Was mag es bedeuten, wenn Leute scharenweise von der Linken ohne Umwege zur AfD wechseln und die SPD in Sachsen bei 8 % und die CDU in Brandenburg auf Platz drei mit 15 % landet? Oder der ehemalige Papst Benedikt in der Herder Korrespondenz etwas selbstmitleidig bemängelt, dass er und seine Ausführungen überhaupt kritisiert werden, noch dazu unzureichend wahrgenommen und er einen kritischen Aufsatz auch gleich noch mit „ungenügend“ benotet? Er bemängelt dabei vor allem das Fehlen des Wortes „Gott“, welches doch in seinem Aufsatz der Zentralpunkt sei. Die Frage, ob nur dann von Gott die Rede ist, wenn das Wort Gott verwendet wird, muss dabei aber doch erlaubt sein. Oder Bischof Wilmer aus Hildesheim, der von mangelhaften Duftwässern in der Kirche spricht, da die vom Menschen stammende Erbsünde eben immer ihren Gestank verbreite, ohne dass man am Ende seines Beitrags in eben dieser Zeitschrift wüsste, wie denn nun konkret an den Duft des Höchsten zu kommen sei.
In meiner früheren Heimatgemeinde gab es zur Einführung dreier neuer Seelsorger einen Gottesdienst, an dem bald mehr hauptamtliche Teilnehmer am Altar als in den Bänken mitfeierten, in dem auch Lied 392 ausgewählt wurde, das Gott besingt, der „alles so herrlich regieret“, was nun nicht jedermann einleuchten wird, wenn er allein an die Opfer des Gondelabsturzes denkt oder an das grausame Schicksal der Mutter, deren Kind unter dem Zug starb, vor das ein wohl psychisch Kranker sie und das Kind gestoßen hatte.
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Dies Domini – 21. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Der moderne Mensch des Westens lebt in eng getakteten Zeiten. Zwischen Vergangenheit und Zukunft liegt das schmale Zeitfenster der Gegenwart, das sich im Moment des Ergreifens schon verflüchtigt hat. Im Streben, auch die Zeit seiner Herrschaft zu unterwerfen, öffnen und schließen die heutigen Zeitgenossinnen und -genossen mit ihren Smartphones Zeitfenster, rahmen Berufliches und Privates in diese Lücken hinein, kommunizieren via WhatsApp in Gruppen zeitgleich mit Menschen, die sie nicht mehr sehen, planen mit Trello und Meistertask effizient ihre Aufgaben und organisieren den Rest digital mit Slack oder anderen elektronischen Helferleinen. Das Leben ist kurz, die Zeit ist knapp – und bevor sich das Zeitfenster für das familiäre Ponyreiten öffnet und pünktlich wieder schließt ist noch viel zu tun, zu telefonieren, zu planen, zu organisieren und, und, und … Die Zeitfenster sind halt eng – da muss man sich schon einmal am Riemen reißen!
Es ist schon erstaunlich, dass gegenwärtig immer wieder über die Sprache der Kirche gejammert wird. Angeblich müsse sie wieder eine neue Sprache finden, um die Menschen von heute zu erreichen. Bei näherer Betrachtung aber eröffnet sich eine interessante Erkenntnis. Nicht nur, dass alt hergebrachte theologische Begriffe wie „Sünde“, „Gnade“ oder „Erlösung“ gar nicht so verstaubt sind, wie sie scheinen; wer kennt nicht die Hoffnung, nach tatvollzogener Verkehrssünde einem Polizisten zu begegnen, der Gnade vor Recht ergehen lässt, so dass man erlöst und befreit davonfahren kann. Auch die Sprache der Bibel ist der gegenwärtigen Erfahrung oft näher, als es auf den ersten Blick erscheint. Gut: Die Bildwelten mögen sich verändert haben. Schafe und Hirten sieht man in den urbanen Kulturen der Gegenwart in der Tat eher selten – obschon auch das nicht unmöglich ist; Freizeitleiterinnen und -leiter, die auf die ihnen Anvertrauten aber Acht geben müssen wie ein guter Hirte auf seine Schafe wissen wiederum genau, wie es sich anfühlt, wenn ein Schützling verloren gegangen ist. Die technischen Möglichkeiten mögen sich über die Jahrhunderte entwickelt haben, die Mode ist immer wieder eine andere – der Mensch von heute aber teilt offenkundig in der Substanz die gleichen oder ähnliche Erfahrungen wie die Menschen vor 2.000 und mehr Jahren. Genau das ist ja der Grund, warum Mythen und Märchen zeitlos sind. Genau deshalb bleibt auch das Wort Gottes aktuell, das wie Mythen und Märchen menschliche Urerfahrungen transportiert.
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Dies Domini – 12. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
„Was sollen die Leute bloß denken?“ – wer kennt ihn nicht, diesen Satz, den besorgte Eltern ihrem frühreifen Nachwuchs entgegenhielten, wenn das an den Tag gelegte Verhalten nicht ganz den Vorstellungen der Erziehungsberechtigten entsprach. Die unfassbare Masse der „Leute“ übte damit die Funktion aus, die – jahreszeitlich bedingt – der Nikolaus, das Christkind oder auch der Osterhase übernahmen, in meteorologischen Varianten aber auch der „liebe“ Gott persönlich, der im Donner eines Gewitters gar nicht lieb zu schimpfen vermochte. Immer aber wussten diese anderen über einen besser Bescheid, als man selbst. Sie stellten so aber nicht nur die eigene Selbstwahrnehmung radikal in Frage; letztlich torpedierten sie auch die Autorität der Eltern, waren sie doch offensichtlich stärker als jene älteren Verwandten ersten Grades, mussten (und müssen) sich diese doch der Macht jener bedienen, um die eigenen Vorstellungen weniger durch die Kraft der Argumente, sondern die Macht drohender Peinlichkeit und Scham des Gesichtsverlustes durchzusetzen.
„Was sollen die Leute bloß denken?“ – zweifelsohne eine Frage mit Potential, wenn auch mit nicht positiver Valenz. Dabei hatten die Leute in der Vergangenheit meist ein Gesicht. Es waren oft die unmittelbaren Nachbarn, die gemeint waren. Sie hatten Namen und Gestalt. Es waren Menschen, die im alltäglichen Umgang gar nicht so machtvoll erschienen, wie es in der elterlichen Frage suggeriert wurde. Hatten nicht manche von ihnen eigenen Marotten und verhielten sich skurril? Interessierten diese Leute sich für das, was man selbst über sie dachte? Und was passierte, wenn diese Leute – ja was eigentlich – dachten?
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