Dies Domini – Elfter Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Die Versuchung ist immer groß, sich Gott nach eigenem Bilde zu erschaffen. Das ist die wohl größte Versuchung des Glaubens – und Zeugnisse für diese Versuchung gibt es gerade in der jüngeren Vergangenheit einige. Gerne wird Gott nach eigenem Gusto mit Attributen belegt: Gott ist dann lieb, arm oder queer. Weit entfernt davon, sich wenigstens an den Schriften, die Glaubende als Wort Gottes bezeichnen, zu orientieren, wird Gott so verfügbar gemacht und zu einem rhetorische Stilmittel degradiert, dem man scheinbar kaum widersprechen kann – zumindest dann nicht, wenn man übersieht, dass Gott als Ursache allen Seins immanent dialektisch ist. Die so bedingte coincidentia oppositorum, der Zusammenfall der Gegensätze in Gott, bringt mit sich, dass ein allmächtiger Gott immer auch ohnmächtig ist, ein lieber Gott die Auseinandersetzung mit dem vermeintlich bösen herausfordert, die göttliche Armut wahrer Reichtum ist und auch queer, trans und cis in Gott vereint sind. Wer die Komplexität der Gott innewohnenden Paradoxie übersieht, macht sich seinen Gott. Vorsicht ist also ebenso geboten, wenn ein Satz mit „Gott ist …“ beginnt, oder Verkünderinnen und Verkünder im Brustton der Überzeugung glauben zu wissen, was Gott will. Freilich scheint das Problem schon zu Zeiten der Propheten virulent gewesen zu sein, so dass Gott, der Herr, selbst durch deren Mund mahnt:
Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch, der Heilige in deiner Mitte. (Hosea 11,9)
und
Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des HERRN. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken. (Jesaja 55,8f)
Diese Dialektik übersehen freilich nur allzu schnell auch jene, die sofort mit Kritik bei der Hand sind und die göttliche Verfügbarkeitsrhetorik mit dem Verweis einhegen wollen, Glaube und Religion seien gerade nicht politisch. Da sind die Schriften sowohl des Neuen wie des altehrwürdigen Bundes freilich anderer Ansicht. Die Dialektik des göttlichen Paradoxons gebietet geradezu, dass Gott Partei ergreift für die unter seinen Geschöpfen, die von anderen seiner Geschöpfe unterdrückt werden. Das Beispiel des von ihm erwählten Volkes, von dem die erste Lesung des elften Sonntags im Jahreskreis des Lesejahres A erzählt, bezeugt dies:
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Dies Domini – Dreifaltigkeitssonntag, Lesejahr A
Dieser Tage las ich in einer katholischen Verbandszeitschrift den Aufsatz eines emeritierten Pastoraltheologen zur Missbrauchsproblematik, der es sicher herausforderte, sich eingehender damit zu befassen, aber eins sticht doch bei solchen Wortmeldungen regelmäßig heraus: Ganz am Anfang wird betont, wie sehr doch andere an den Pranger zu stellen sind:
„offensichtlich interessiert nur der „katholische Missbrauch“, die Missbrauchsfälle in anderen Institutionen aber (wie zum Beispiel in der evangelischen Kirche oder in weltlichen Internaten – die Odenwaldschule ausgenommen – oder in Sportvereinen oder in Familien – und das vor allem – in Nahbeziehungen) werden nur marginal wahrgenommen, obwohl diese nach den bislang veröffentlichten Zahlen weit über 98 % ausmachen dürften.“
Warum muss das sein? Warum können Kirchenvertreter nicht einfach aushalten, einer Institution anzugehören, der zu Recht vorgeworfen wird, es habe in ihrer Verantwortung tausendfachen Missbrauch gegeben und das Führungspersonal habe jämmerlich versagt und tue es oft immer noch? Wem ist damit geholfen, immer auf andere zu zeigen, wenn es der Haltung christlicher Demut entspräche, die Schuld zu akzeptieren, aufzuklären und soweit wiedergutzumachen wie möglich? Was soll eine Gesellschaft von uns halten, wenn wir – auf frischer Vertuschungstat ertappt – nur rufen: nebenan ist es aber auch nicht in Ordnung? Man fragt sich, warum wir unser sowieso dunkles Bild bei unseren Zeitgenossen nur immer noch mehr verdunkeln müssen. Es ist zum Haareraufen.
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Dies Domini – Siebter Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Wissen und Glauben teilen ein Schicksal: Ohne praxisgesättigte Erfahrung fehlt beiden die Fähigkeit zu echter Erkenntnis. Wenn reines Wissen oder purer Glauben genügen würden, dann wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis die sogenannte „Künstliche Intelligenz“ die Herrschaft übernimmt. Ihr stehen Millionen und Abermillionen Quellen offen, die sie nach den Prinzipien stochastischer Analyse in sinnvoll erscheinende Texte hineinkombinieren kann. Bei Projekten wie ChatGPT schauen Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich staunend auf die Bildschirme, wenn dort tatsächlich an sich sinnvolle Antworten auf gestellte Fragen erscheinen. Tatsächlich ist da allerdings mehr Schein als Sein, denn die Frage, „Prompt“ genannt, determiniert in gewisser Weise schon die Qualität der Antwort. Wer etwa eine bildschaffende „Künstliche Intelligenz“ auffordert, Jesus und seine Jünger in einer modernen Adaption des letzten Abendmahles zu kreieren, darf sich nicht wundern, wenn er dort moderne Hipster um eine Pizza versammelt sieht. Die „Künstliche Intelligenz“ hat modernes Bildmaterial analysiert und auch „klassische“ Jesusbilder – langhaarig, mitteleuropäisch und – wenn schon Bart – dann im Hipsterstyle. Das mag man hip finden, ist aber letztlich banal. Der „Künstlichen Intelligenz“ fehlt eben doch jede Kreativität, Intuition und Erkenntnis – und damit eigentlich alles, was „Intelligenz“ eigentlich ausmacht. Sie kann nur rekombinieren, was schon da ist. Das kann durchaus nützlich sein, wenn sich der Mensch die „Fähigkeiten“ als Assistenz verfügbar macht. Man sollte deshalb eher von „Künstlicher Assistenz“ sprechen – denn mehr ist es nicht, was dort geschieht, aber auch nicht weniger. Die kommunikativen Fähigkeiten sind eben nur scheinbarer Natur.
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Dies Domini – Fünfter Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Vor einigen Tagen hielt der emeritierte Bonner Kirchenrechtler Professor Lüdecke in Wuppertal einen Vortrag zum Thema Täuschung, in dem er eindrucksvoll nachwies, dass ein Muster die Geschichte des 20./21. Jahrhunderts durchzieht, nach dem immer, wenn der Reformdruck im Kircheninnern zu hoch wurde, ein kleines „Dialog-Ventil“ dafür sorgte, dass eine Revolution vermieden, allerdings auch die notwendige Anpassungsarbeit der Kirche an die Welt der Gegenwart nicht geleistet wurde.
War es nach dem Krieg ein Katholikentag, dann das Zweite Vatikanum, schließlich die Würzburger Synode, der unsägliche „Dialogprozess“ des, wie wir heute leider wissen, ebenso unsäglichen Erzbischofs Zollitzsch, so ist es heute der Synodale Weg, auf dem allerlei wohlwollend gnädiglich zwischen Bischöfen und engagierten Laien beraten und beschlossen, aber nichts auf den Weg gebracht wird, schon gar nichts entschieden. Das war ein lichtvoller – für die Erkenntnis -, aber leider auch sehr dunkler Abend – für die Hoffnung auf Reform. So endete der Vortrag auch mit einer schwarzumrandeten Anzeige:
„Die Hoffnung stirbt zuletzt.
…
Aber sie stirbt.“
Durchaus traurig. Zweckoptimismus und fröhliche Gelassenheit hatten da wenig Platz, weil leider auch der Realitätsgehalt des Vorgetragenen zu hoch war. Desillusionierend hoch. Noch bedauerlicher, dass der Referent sich auf seine Rolle als wissenschaftlicher Darsteller der rechtlichen Realität zurückzog und auch auf Fragen aus dem Publikum die Rolle des Ratschläge gebenden Pastoraltheologen ablehnte. Ja, was nun?
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Dies Domini – Dritter Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Die Kirche ist in der Krise – und es ist keine Krise des Glaubens oder der Glaubenden. Es ist eine Krise der Glaubwürdigkeit, die mit jedem Missbrauchsfall größer und sich mit jedem Offenbarwerden der Versuche, die Täter statt die Opfer zu schützen exponentiell steigert. Die vielen Worte, das Beten, die Frömmigkeit – sie werden Lügen gestraft, wenn ihnen keine Taten folgen. Selbst der synodale Weg scheint hier eher kosmetische Eingriffe vornehmen zu wollen, als eine Wurzelbehandlung einzuleiten. Darin wenigstens scheinen sich Bewahrer und Reformer einig zu sein: Allzu viel soll sich wohl nicht ändern. Die einen wollen halt lieber traditionell wohnen, andere modern. Allein: Die Möblierung und der Anstrich eines Hauses hilft nichts, wenn die Substanz an sich marode geworden ist. Wer hier nur wartet, dass sich das Problem früher oder später von selbst lösen wird, vergrößert das Problem nur – egal, ob der modern oder traditionell wartet.
Ein Grundproblem scheint zu sein, dass man die Kirche retten möchte – als sei die Kirche ein Zweck in sich. Tatsächlich ist die Kirche aber nicht für sich, sondern für die Menschen da. Sie ist, wie das zweite Vatikanische Konzil formuliert:
„in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“ (Lumen gentium, Nr. 1)
Der Auftrag des Auferstanden geht genau in diese Richtung. Nirgends sagt er: „Gründet Gemeinschaften“ oder „Baut Kirchen“, sondern:
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Dies Domini – Ostersonntag, Lesejahr A
Ein weiterer Bogen lässt sich heilsgeschichtlich kaum spannen: von der „felix culpa“, der glücklichen Schuld des Adam im Exsultet der Osternacht bis zur Rückkehr der Emmausjünger zur Urgemeinde in Jerusalem, der Anfangszeit der Mission und der Verbreitung des Christentums über den Erdkreis; von der festlichen Feier des Abendmahls am Gründonnerstag durch die schwarze Nacht der völligen Einsamkeit, ja sogar der Gottverlassenheit am Kreuz des Karfreitags und dem Abstieg in das Reich des Todes, durch den Osterjubel über die Auferstehung bis zu den brennenden Herzen der Emmausjünger, die den Herrn, so wie schon Maria Magdalena am Ostermorgen, zunächst nicht erkennen. Sie brauchen erst das Zeichen des Brotbrechens, weil sie nicht wissen, sondern glauben.
Dabei geht es ihnen wie uns: auch wir sehen Anzeichen und müssen doch oft erst mit der Nase darauf gestoßen werden: wenn ein Gottesdienst uns berührt hat, ein Konzert uns besonders angesprochen oder ein Mensch uns seine liebende Begegnung geschenkt hat: es ist etwas von Gott, von seiner unendlichen Güte in unserer Welt, wenn wir das auch meist nicht nur wegen unserer schlechten Augen, sondern auch wegen der Verborgenheit der Spuren nicht sehen können.
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Dies Domini – Fünfter Fastensonntag, Lesejahr A
Hätte, würde, wäre, könnte – was hätten wir für Möglichkeiten, wenn werden würde, was wir könnten, wenn die Umstände nicht so wären, wie sie sind. Der Konjunktiv hat auch in diesen Zeiten wieder Konjunktur – jener Modus des Verbs, mit dem die Sprache uns ermöglicht, dem Möglichen – und bisweilen auch dem Unmöglichen – Ausdruck zu verleihen. Wohlgemerkt: Dem Möglichen – nicht dem, was ist. Das macht frei von persönlichen Festlegungen, gibt Sehnsüchten, die hin und wieder an Träumereien grenzen, Raum und bietet jederzeit die Möglichkeit zu jener verbalen Flucht, man habe die Dinge ja nicht so gemeint, wie man sie zu sagen glaubte. Der Konjunktiv ist ein Segen für all jene, die vermeiden wollen, auf ihr Wort verpflichtet zu werden. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Orientierung auf so vielfältige Weise nötig ist, entlarven die Konjunktiv-Verwender sich selbst. Man kann es an den aktuellen politischen Diskursen sehen: Was man alles tun müsste, wenn man nur könnte, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen; und natürlich wäre es wichtig, dem verbrecherischen Angriff Russlands auf die Ukraine entschieden zu begegnen, wenn das nicht die Atomwaffen wären, die Putin einsetzen könnte. Dass das alles andere als wahrscheinlich ist (Putin hat schon so viele Kriege geführt, ohne auch nur ansatzweise Atomwaffen einzusetzen) ist schon zu indikativisch formuliert. Der Konjunktiv hingegen lässt die Möglichkeit des Rückzugs offen, besser doch den Frieden mit Worten zu fordern, denen keine Taten folgen, ist doch auch die Friedensforderung eher an konjunktivische Bedingungen und mögliche Folgen gebunden: Wenn man der Ukraine keine Waffen liefern würde, wäre der Krieg schnell zu Ende und das Sterben würde aufhören … würde es das wirklich? Der Indikativ von Butscha, die Tatsache der Entführung ukrainischer Kinder, die Vergewaltigungen in den besetzten Gebieten sind Fakten, die keinen Raum für konjunktivische Sehnsüchte lassen, die durch die Wirklichkeit überhaupt sind. Wer so denkt, denkt nicht im Optativ (dem Wunsch), sondern im Irrealis (dem Unwahrscheinlichen)!
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Dies Domini – Dritter Fastensonntag, Lesejahr A
Manchmal kommt es auch auf scheinbare Nebensächlichkeiten an, z.B. darauf, dass Jesus am Jakobsbrunnen mit einer Samariterin spricht, ganz falsche Volkszugehörigkeit, auch noch mit einer Frau, ganz falsches Geschlecht, und schließlich einer mit zweifelhaftem Lebenswandel, völlig verkehrter Umgang für einen anständigen, jüdischen Wanderprediger. Die Frau bekommt nicht einmal Vorhaltungen und Ermahnungen, sondern stattdessen die Selbstoffenbarung des Herrn: Die Frau spricht von der Erwartung des Kommens des Messias und Jesus sagt zu ihr:
„Ich bin es, der mit dir spricht.“ (Joh 4,26)
Alle Erwartung, alle Hoffnung, alle Sehnsucht: erfüllt und übertroffen. Und das gegenüber jemandem, der es doch eigentlich nicht „verdient“ hat. Nicht irgendwann in der Zukunft, hier und jetzt. Und da ist die Befindlichkeit der Frau für uns nicht nebensächlich. Denn wir dürfen uns als seine Jünger in der gleichen Situation sehen wie die samaritische Frau: das Heil kommt zwar von den Juden, aber wir alle dürfen in allen Völkern und Sprachen, in jedem Geschlecht und in jeder Lebenssituation, hätten wir auch schon den fünften Partner mit oder ohne Ehe, den Herrn anbeten im Geist und in der Wahrheit. Nicht jeder mag diese offene Bereitschaft des Herrn akzeptieren, den Menschen seiner Gnade vorbehaltlos anzuerkennen und anzunehmen, Hauptsache, er ist zum Glauben an ihn bereit und willens. Aber so sind die Bedingungen des Herrn.
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Dies Domini – Erster Fastensonntag, Lesejahr A
Auch nach der Aufklärung scheint der moderne Mensch nicht frei von magischem Bewusstsein. Gerade angesichts des terroristischen Angriffs auf die Ukraine wird diese Anfälligkeit vieler modernen Zeitgenossen deutlich. Die scheinbare Stärke Russlands und die bloße Drohung Putins, er könne, wenn er wollte, Atomwaffen einsetzen, löst tiefsitzende Ängste aus, ein Gefühl der Ohnmacht, das nur schwer zu ertragen zu sein scheint. Die Frage, warum die Russen in bisherigen Konflikten – in Syrien, Mali, Afghanistan, Tschetschenien und Georgien – nie die Atomwaffe eingesetzt haben, sondern mit blinder und unmenschlicher Zerstörungswut Städte und Landschaften niedergebombt haben, wird gar nicht näher gestellt. Diese Konflikte waren offenkundig zu weit weg – und hatten offenkundig auch den europäischen Beistand nicht so nötig, dass man einfach wegschauen konnte. Das ist nun anders. Die Ukraine ist nah – und damit juckt plötzlich der eigenen Pelz. Der ehemalige KGB-Offizier und Tschekist Putin weiß, wie man die Unsicherheit schürt. Die Tscheka – die russische Geheimpolizei – war ein guter Lehrmeister: Mit Geld oder mit Angst und Einschüchterung wurden die Gegner gefügig gemacht. Dieses Spiel spielt jetzt auch Putin. Wer sich auf seine Spieregeln einlässt, hat schon verloren und verdammt sich selbst zur Unterwerfung. Oder er duckt sich weg, um gar nicht erst auf das Spielfeld zu geraten. Oder er schreibt öffentliche Briefe und beschwört wortreich das Ende eines Krieges, auf den er nicht einmal den Hauch von Einfluss hat, weil er gar nicht auf dem Spielfeld steht oder stehen will. Die Angst als Lehrmeisterin treibt halt absurde Blüten …
Die Versuchung ist groß, aus Eigenschutz den Beistand zu verweigern. Das ist durchaus legitim. Jede Polizistin und jeder Sanitäter lernt, dass Eigenschutz Vorrang hat. Moralisch verwerflich ist das Streben nach Eigenschutz also keineswegs. Aber es hat einen Preis. Die Verletzten und Leidenden bleiben auf der Strecke. Es wäre gut, wen die, die in subtil-magischem Bewusstsein Worte machen, mit denen man den Terror zu beenden sucht, sich wenigstens des inhärenten Dilemmas bewusst würden, in dem wir alle stehen – und wir stehen in diesem Dilemma nur dabei, denn das Leid, die Vergewaltigungen, das Sterben findet in der Ukraine statt, nicht bei uns. Wer hier nur zusieht, sich aus Angst wegduckt und danebensteht, schützt sich möglicherweise selbst, ist aber auch für unterlassene Hilfeleistung verantwortlich; wer hingegen nicht zuschauen kann, sondern helfend eingreift, muss sich bewusst sein, dass er – etwa durch Waffenlieferungen – eben auch Verantwortung auf sich lädt, denn Waffen töten. Es gibt kein Entkommen aus diesem Dilemma, gerade weil in dieser Krieg auf einem terroristischen Angriff beruht, dem keine Fehde- oder Kriegserklärung vorausging und keine Verhandlungsbereitschaft seitens des Angreifers. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist keine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Sie ist und bleibt ein unmenschlicher Terrorakt, mit dem Putin – und das sagte er selbst bereits 2007 auf der Münchener Sicherheitskonferenz – wieder als Großmacht erscheinen möchte. Der erstrebten Einverleibung der Ukraine ging die teilweise Annexion Georgiens, der Krim und des Donbass voraus. Man muss kein Prophet sein, dass weitere Schritte geplant sind, um Putins Großmachtphantasien wiederherzustellen. Ob die mit gutgemeinten Friedensapellen und öffentlichen Aufrufen, an den Verhandlungstisch zu gehen, zu vermeiden sind?
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Dies Domini – Sechster Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Es ist schön, dass ein Wort zur Woche einmal Gelegenheit gibt, eine aktuelle Situation aufzugreifen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzuspießen zwischen einem Text unserer Tage und einem Evangelium, das vor Jahrhunderten geschrieben wurde, beides Texte, um aufzurütteln. In dem einen wettert Jesus in der Bergpredigt des Matthäus:
„Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Mt 5,20)
Starker Tobak, den uns Jesus da unter die Nase reibt, etwas weiter ganz ähnlich:
„wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.“ (Mt 5,22)
Und so gehen voran und folgen noch weitere Prophezeiungen, die einen sanftmütigen und gütigen Jesus, wie er uns sonst oft im Evangelium begegnet, nicht ahnen lassen.
Ganz ähnlich wutentbrannt eine Aachener Büttenrednerin:
„Beherzt er (Merz) auf die Schwachen drischt,
weil er so gern im Trüben fischt.
Gerade die, die christlich selbst sich wähnen,
sollten sich für ihn was schämen.“
Im Übrigen ein bisschen mehr unter der Gürtellinie; aber ist die Höllendrohung des Jesus für den, der nicht viel gerechter ist als die damalige tonangebende Schicht, nicht ebenso „voll daneben“, wie das boshafte Gereime der Dame, die doch immerhin beweist, dass die Bibel nicht in allem recht hat:
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