Kalendersprüche gehören unter den literarischen Schöpfungen, die die Menschheit hervorgebracht hat, zu den gefährlicheren Gattungen. Ihre in ihrer simplen Bescheidenheit bestechende Logik wird mit Weisheit verwechselt, so dass nur selten jemand danach fragt, ob überhaupt stimmt, was da behauptet wird. In ihrer naiven Einfachheit sind sie freilich unzerstörbar. Sie werden unhinterfragt weitererzählt und bringen nicht selten ganze Denksysteme hervor, die zwar für wahr erachtet werden, obschon sie auf sehr dünnem Eis errichtet sind. Zu den viel verwendeten Sentenzen der Kalenderspruchgattung gehört zweifellos der Satz:
„Worte schaffen Wirklichkeit!“
Er bildet die Basis für die Bemühungen um eine gerechtere Sprache, führt aber bisweilen zu verbalen Eiertänzen, die in ihrer bemühten Ernsthaftigkeit die ihr zugrundliegende semantische Narretei ad absurdum führen.
Letzteres kann man im Bemühen beobachten, Menschen mit Behinderung, die man auch mal „Menschen mit Benachteiligung“ oder „Menschen mit Handicap“ nannte, obschon sich die wenigsten Golfspieler der eigentlich gemeinten Gruppe zurechnen würden, zu bezeichnen. Einfach von Behinderten zu sprechen, erscheint geradezu obszön. Stattdessen schuf man Wortungetüme, die die Betreffenden immer mehr zu Objekten statt zu Subjekten machen. Und all das, weil man denkt, Worte würden Wirklichkeiten schaffen – allein die Behinderung bleibt, egal wie man sie nun nennt. Im Gegenteil: Die Verschleierung erschwert eine positive Beziehung und Teilhabe eher, als sie diese fördert. Wer einen beleibten Menschen als „Dicker“ bezeichnet, könnte sich als echter Freund erweisen, während die Rede von einem „Menschen mit Adipositas“ dieselbe Person mit einer Krankheit behaftet. Das Problem liegt in der Bedeutung, die wir Worten beimessen, denn dass Worte Wirklichkeit schaffen. Was glauben Sie denn?
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Immer häufiger strahlt ein neuer Stern auf. Man findet ihn (noch) nicht in der Westdeutschen Zeitung, nicht selten aber in den Kommentarspalten sogenannter „sozialer Medien“, zunehmend in Parteiprogrammen und bald vielleicht auch im Duden. Jedenfalls tagte am 16. November 2018 der Rat der deutschen Rechtschreibung, um auch über die Frage des gendergerechten Schreibens zu diskutieren. Egal wie man zu der Genderthematik steht – hinter ihr verbirgt sich die Frage, ob jemand als Mann oder Frau geboren wird oder ob das Geschlecht Ergebnis einer gesellschaftlichen Zuweisung ist; mit Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 8. November 2017, das ein drittes Geschlecht für den Eintrag in das Geburtenregister bei intersexuellen Menschen fordert, die weder männlich noch weiblich sind, kann man der Frage nicht mehr aus dem Weg gehen, wie heute die zwischenmenschliche Kommunikation respektvoll gestaltet werden kann und muss. Dazu gehört zweifelsohne die Einsicht, dass der meist männlich konnotierte Gebrauch von Wörtern in den Köpfen vieler Menschen dazu führt, dass Frauen und Intersexuelle gerade nicht mitgedacht werden. Versuchen Sie einfach einmal selbst, welches innere Bild ihnen vor Augen steht, wenn sie von der „Bundesärztekammer“ hören. Gehören Sie zu denen, bei denen auch Frauen im weißen Kittel zu sehen sind oder sind da zuerst doch erst nur Männer zu sehen, und erst jetzt im Nachdenken schmuggelt sich die eine oder andere Medizinerin ins grau melierte Bild? Was glauben Sie denn?
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