Dies Domini – 1. Adventssonntag, Lesejahr B
Der Mensch liebt es einfach. Komplexität fordert ihn heraus, wenn sie ihn nicht sogar überfordert. Deshalb strebt er entweder danach, komplexe Situationen auf einfache Denkmuster zu reduzieren oder er delegiert die Lösungskompetenz direkt an höhere Mächte. In Ermangelung tatsächlicher höherer Mächte wird dann auch schon einmal der Ruf nach starken Führerfiguren laut. Nicht dass die gegenwärtigen Herausforderungen zwischen den Herausforderungen des Klimawandels, der Erfahrung einer globalen Pandemie und dem Zerbrechen der Illusion eines Lebens in Frieden und Sicherheit durch den Angriff Russlands auf die Ukraine und den durch den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 erneut aufgeflammte Konflikt im Nahen Osten die ersten menschheitsgeschichtlichen Kontingenzerfahrungen, als dem Erleben der Zufälligkeit und Nichtnotwendigkeit der eigenen Existenz, wären; für viele Menschen im wohlstandsverwöhnten Mittel- und Westeuropa scheint die Welt allerdings im wahrsten Sinn des Wortes verrückt worden zu sein. Woher also kommt Hilfe?
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Wer nach den Sternen greift, muss sich strecken – und immer wieder über sich hinauswachsen. Das wird gegenwärtig nicht nur im sportlichen Bereich deutlich. Die Fußballnationalmannschaften sowohl der Frauen wie der Männer haben das in der jüngeren Vergangenheit immer wieder erfahren: Die schönsten Pläne, Trainingskonzepte und Spielstrategien helfen nichts, wenn der Gegner mit Leidenschaft, Intuition und Siegeswillen die Illusion planbarer Machbarkeit wie eine schillernde Seifenblase zerplatzen lässt. Mit Siegeswillen kommen auch die vermeintlich Schwächeren weiter, wenn sich die sich stark Wähnenden auf ihren Lorbeeren ausruhen. Der Sport ist da ein Spiegelbild des Lebens – und vielleicht ist das sportliche Scheitern symptomatisch für den gegenwärtigen Zustand einer Gesellschaft, die gerne auf die Wahrung vermeintlicher Besitzstände bei maximaler Anstrengungslosigkeit pocht. Was glauben Sie denn?
Ein bemerkenswertes Symptom für den Verzicht auf Herausforderung ist eine geplante Reform der Bundesjugendspiele. Statt eines Wettkampfes, bei dem bestimmte Leistungen für die Erlangung von Auszeichnungen erbracht werden müssen, soll es nun einen Wettbewerb geben, bei dem Fairness, Respekt, Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen im Vordergrund stehen. Das hört sich vordergründig gut und richtig an. Bei näherer Betrachtung aber scheint es eher um die Vermeidung von Erfahrungen des Scheiterns und Niederlagen zu gehen. Niemand soll sich zurückgesetzt fühlen. Die Latte wird niedriger gelegt, damit wirklich viele über sie springen. Und falls einer unten durchläuft gibt es auch dafür noch einen Preis für den schönsten Limbo. So sind alle irgendwie Sieger. Niemand muss mehr ob einer Niederlage getröstet werden. Andererseits lernt auch niemand mehr, mit Frustrationen umzugehen. Auch die Erfahrung, dass im Scheitern die Motivation für einen Neuanfang liegen kann, geht verloren. Wo die Anerkennung anstrengungslos erworben wird, kann keine Haltung wachsen, die den Herausforderungen des Lebens gewachsen ist. Ist es wirklich fair, wenn die Starken keine Respekt mehr vor den Schwächeren haben, weil es die offiziell nicht mehr gibt? Kann Teamfähigkeit wirklich wachsen, wenn die unterschiedlichen Kompetenzen nicht mehr wahrgenommen werden? Wo landet eine Gesellschaft, die jede Herausforderung vermeidet, weil sie Anstrengung bedeutet?
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Dies domini – Vierter Fastensonntag, Lesejahr B
Die Nacht ist wahrheitstauglich. Wenn der Sinn äußeren Sehens behindert ist, schärfen sich nicht nur die anderen Sinne. Man hört und riecht nicht nur besser, der Tastsinn ist nicht nur sensibler; der Verlust der Macht der Bilder, die die Aufmerksamkeit im hellen Taglicht absorbiert und nur allzu oft zu Fehlschlüssen verleitet, macht den Geist frei für das innere Sehen. Es ist schon bemerkenswert, wie oft in der Bibel erwähnt wird, dass es Nacht ist. Schon die Schöpfung beginnt mit der Nacht, heißt es doch:
Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. (Genesis 1,3-5)
Die Nacht gebiert den Tag. Die Nacht ist schöpferisch. Das Licht wird aus dem Dunkel erschaffen. Es wundert daher nicht, dass viele bedeutende Ereignisse mit der Nacht verbunden sind. Die Befreiung Israels aus Ägypten beginnt nächtens (vgl. Exodus 2,6-8), es wird Nacht sein, wenn Jesus mit den Seinen das letzte Abendmahl halten wird und das Heilsgeschehen seinen Lauf nimmt und es ist der Schutz der Nacht, in dem Leben aus dem Tod geschieht. Die Nacht ist der Ort der Offenbarung, wenn keine irdischen Bilder den Geist ablenken und stören. Die Nacht ist der Ort der Erkenntnis und der Einsicht.
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Dies Domini – 29. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Volk – ein Wort, ein Gefühl, eine Macht. Das Volk ist souverän. Volkes Stimme will gehört werden, sonst wird das Volk trotzig wie ein kleines Kind. Wie in der Quengelzone an den Kassen der Supermärkt ruft es dann: Ich will aber! Wir sind das Volk! Keine Großtat kann das Volk besänftigen, wenn es Hunger hat, kein Wunder die Ängste nehmen, wenn ein Volk im Dunkel lebt. Es würde freilich genügen, wenn das Volk den Kopf aus dem Sand nehmen würde und der Wahrheit so erhobenen Hauptes ins Auge blicken würde. Ein solches Volk wäre von echter Erkenntnis aufgeklärt. Die Freiheit aber scheint die Befreiten zu ängstigen. Die Schwester der Freiheit ist die Verantwortung. Verantwortung aber ist ein Zeichen des Erwachsenenseins, bedeutet Arbeit und Anstrengung. Die Kinder in der Quengelzone wissen noch nichts vom Wert dessen, was sie erquengeln wollen. Sie ahnen noch nicht, dass jedes Stückchen Schokolade seinen Preis hat. Sie sind noch unfrei, gefangen in ihren Primärbedürfnissen, abhängig von der Sorge derer, gegen die sie sich ein paar Jahre später in einem Anflug pubertärer Revolution auflehnen werden, zu allem fähig, aber für nichts verantwortlich. Nur wenige schaffen es offenkundig, eine weitere entwicklungspsychologisch entscheidende Schwelle des Lebens zu überschreiten und erwachsen zu freien, souveränen, und sich selbst und anderen gegenüber verantwortungsbewussten Menschen. Erwachsene wissen, dass sie nicht alleine auf der Welt sind. Ein Volk hingegen, das nur auf die eigenen Bedürfnisse schaut, steckt den Kopf in den Sand – voller Angst, ohne Vertrauen auf die eigene Stärke, die es hätte, wäre es erwachsen. Kinder aber sind schwach. Sie quengeln statt zu gestalten. Ihr Bedürfnis ist die einzige Wahrheit, die sie anerkennen. Wie weiland Mose möchte man ausrufen:
Was soll ich mit diesem Volk anfangen? (Exodus 17,4)
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Dies Domini – 4. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Der freie Gedanke ist ein Luxus, den sich heutzutage nur noch wenige leisten. Das Denken vieler ist kontaminiert mit Angst und vagen Befürchtungen. Die Seuche panischer Verlustängste hat sich tief in die Hirne und Herzen gefressen. Sie äußert sich in den Symptomen, die das Schwarz-Weiß-Denken längst hinter sich gelassen hat und nur noch Dunkelbilder generiert. Alles erscheint dunkel. Gemalt wird nur noch in schwarz. Wie bei einer radioaktiven Kettenreaktion befeuern sich die Schwarzmaler gegenseitig. Die Kontamination frisst sich weiter vom Denken in die Herzen. Der Hass auf alles, was anders ist, ist der Fallout dieses intellektuellen Super-GAUs, den die Gegenwart erlebt.
Die dekontaminierende Kraft der Kritik hat gegenwärtig keine Konjunktur. Überfordert von einer Welt, die zunehmend als komplex erkannt wird, sehnt sich das Kind im Menschen nach dem mächtigen Wort, mit dem früher schon Vater und Mutter die Geister aus dem dunklen Kinderzimmer vertrieben haben. Alles hatte seine Ordnung, wenn man gemeinsam unter das Bett geschaut hatte, nur um zu sehen, dass dort nichts Bedrohliches war. Und zur Sicherheit blieb die Tür einen kleinen Spalt breit auf; der schmale Lichtstrahl war eine Verheißung der Gegenwart derer, die die Geister in Schach halten konnten. Man konnte sie nicht mehr ahnen als sehen. Aber der schmale Schimmer genügte als Verheißung, dass alles ein gutes Ende nehmen und die Sonne wie gewohnt am nächsten Tag aufgehen würde.
Angst ist ein enges Gefängnis. Der schmale Lichtstrahl verheißt eine Freiheit, die das Kinder freilich noch nicht erlangen kann. Es muss erst lernen, den Kampf mit den Mächten der Freiheit aufzunehmen. Freiheit ist nicht nur eine Verheißung. Freiheit birgt Gefahren. Man kann sich in ihr verlieren. Die Kindheit ablegend ringen Heranwachsende mit den Herausforderungen der Freiheit. Sie wähnen sich zwar zu allem fähig, möchten aber noch für nichts verantwortlich sein. Der Haushalt der Kräfte ist noch im Ungleichgewicht. Dass die Freiheit ihren Preis hat, ist eine Erkenntnis, die der am Leben gereifte Mensch erlangt. Nicht wenige aber scheitern an dieser Aufgabe. Freiheit ist anstrengend, gerade weil sie Verantwortung impliziert. Da ist es einfacher, die Schuld immer bei anderen zu suchen. Wer so denkt, bleibt aber unmündig. Er gräbt sich selbst im Stadium der Unmündigkeit ein.
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