Dies Domini – 4. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Nicht jede scheinbar in Stein gemeißelte Weisheit wahrt bei näherem Hinsehen die ihr zugesprochene Wahrheit. Die Worte schmeicheln dem Ohr und umgarnen die Seele, die sich so nur allzu schnell fesseln und binden lässt, wie weiland die Liliputaner dem Gulliver seine Freiheit nahmen. Das, was eben noch der Stein der Weisen zu sein schien, entpuppt sich dann schneller als rundgeschliffenes Kieselsteinchen ohne Ecken und Kanten, die – wenn es darauf ankommt – keinen wirklichen Halt zu geben vermögen.
Zu jener Art kieselner Weisheiten gehört auch das Wort, der Weg sei das Ziel. Das klingt wunderbar prozessorientiert; freilich wird nur allzu schnell übersehen, dass der, der im Weg selbst schon das Ziel erblickt, im Kreis läuft – ohne Ausweg, ohne Ergebnis, verdammt, immer weiter zu laufen. Das mag oberflächlich von der Last faktischer Entscheidung und Verantwortung befreien; allerdings degeneriert ein solcher Mensch sich selbst zum dauerlaufenden Hamster. Es ist schon bemerkenswert, dass nicht selten diejenigen, die fordern, man müsse endlich aus dem Hamsterrad des Alltags aussteigen, oft auch den Weg als Ziel beschwören. So aber kommt man von der Traufe in den Regen.
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Dies Domini – 31. Sonntag im Jahreskeis/Allerseelen, Lesejahr A
Es scheint so, als wohne dem Universum eine tiefgehende Sehnsucht nach dem Leben inne. Der Drang nach Leben gewinnt überall dort die Oberhand, wo sich nur die geringsten Möglichkeiten dazu bieten. Jede noch so kleine Ritze im Asphalt wird nach kurzem mit Leben gefüllt. Und jeder Hobbygärtner weiß, dass der Kampf gegen das Grün in den Fugen der fein säuberlich verlegten Pflasterplatten ein aussichtsloses Unterfangen ist. Archaeen, Bakterien und Eukaryoten bevölkerten die Erde, lange – sehr lange – bevor das Leben im Menschen sich seiner selbst bewusst wurde. Gerade die Archaeen, jene einzelligen Organismen mit einem in sich geschlossenen DNA-Molekül, entwickeln sich als Keimzellen des Lebens an den unwirtlichsten Orten. Sie wachsen selbst dort, wo kein Sauerstoff existiert. Die Macht des Lebens setzt sich offenkundig immer durch, wenn nur die geringsten Möglichkeiten gegeben sind. Es dürfte also nicht verwundern, wenn außerhalb unseres Planeten Leben existiert. Das Universum, die Schöpfung, in der wir leben, ist auf Leben ausgerichtet. Leben scheint das Prinzip der Schöpfung zu sein.
Das mag angesichts der lebensfeindlichen Umwelt, des Vakuums, das im Weltall herrscht, verwundern. Der Tod scheint doch die eigentliche Macht zu haben. Rein quantitativ gesehen sind die sogenannten habitablen Zonen, also die Regionen des Weltalls, in denen Leben überhaupt annähernd möglich ist, äußerst gering. Es müssen schon optimale Bedingungen herrschen, damit sich Leben entwickelt. Das Leben aber setzt sich durch. Und der Aufwand ist groß, den das Leben betreibt. Leben entsteht aus dieser Verschwendung. Leben ist die Effizienz der Verschwendung. Ein Weltall existiert für das Leben – vielleicht nicht nur, vor allem aber sicher auf unserem Planeten Erde.
Das Leben scheint für die Lebenden eine Selbstverständlichkeit zu sein. Man ist halt da. Man existiert. Ist da nicht der Tod der eigentliche Skandal? Der Tod als Vernichtung der eigenen Existenz ist eine Verstörung, die dem Menschen nicht nur seine letztliche Ohnmacht vor Augen führt. Er ist auch eine Kränkung des menschlich eingebildeten Stolzes, Herr über die Welt zu sein. Der Tod ist nicht beherrschbar. Der Tod ist – allen Unkenrufen nach Selbstbestimmung zum Trotz – letztlich der menschlichen Verfügbarkeit entzogen. Man mag den eigenen Tod mit eigener Hand selbst herbei führen; eine Garantie, dass das gelingt, gibt es letztlich nicht. Zuviel kann angesichts des Überlebenstriebes der Organismen schiefgehen. Man stirbt eben nicht einfach. Das Leben ist mit Macht wirksam. Es bewusst zu zerstören, bedarf immer eines fundamental gewalttätigen Handelns. Das Leben beugt sich eben nicht einfach dem menschlichen Willen, zu sterben.
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Auch nach 2000 Jahren christlicher Glaubens- und Theologiegeschichte mangelt es vielen noch an einem grundlegenden Vertrauen in die barmherzige Liebe Gottes. Glaube, so scheint es, wird von den Frommen als Fürwahrhalten von Lehrsätzen verstanden. Diese Wahrheit wird in sich nicht hinterfragt. Sie ist objektiv gegeben, gewissermaßen vom Himmel gefallen. Deshalb scheint es auch aus dieser Sicht auch zu reichen, diese Wahrheitssätze in Katechismen zu sammeln und auswendig zu lernen. Sie zu verstehen ist dann nicht relevant. Das Evangelium zu verkünden ebenso wenig. Allein die korrekte Wiedergabe der Lehrmeinung zählt. Wer das nicht glaubt: ἀνάθημα ἔστω (anathema esto) – der sei verflucht!
Das Anathem – es steht am Ende vieler lehramtlicher Definitionen, die Konzilien hervorgebracht haben. Das Anathem zieht die Grenze zwischen dem, was zum Glauben gehört, und dem, was nicht zum Glauben gehört. Durch das Anathem wird der christliche Glaube definiert: Wer das nicht glaubt, der sei verflucht und ausgeschlossen.
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Es ist wieder Fastenzeit. Und wie nicht anders zu erwarten, füllen Presse, Funk und Fernsehen wieder ihre Seiten und Sendminuten mit Tipps und Berichten zu Heilfasten, Fastenkuren und Entschlackung, die der Wellness von Leib und Seele dienen sollen. Und selbst in vielen Predigten und kirchlichen Aktionen wird dem Motto „Sieben Wochen ohne“ gefrönt und der Verzicht propagiert. Handyfasten, Schokoladenverzicht, Alkoholverbot – so sieht das moderne Fasten aus. Aber wozu soll das gut sein?
Manch modernem Zeitgenossen geht das Fasten so an die Nieren, dass seine Mitmenschen sein Fastenbrechen ersehnen. Wenn das Fasten zur Last wird, ist die schlechte Laune nur allzu oft die logische Folge. So wird die Fastenzeit für die, die mit einem Fastenden leben müssen, zu einer wahren Bußzeit.
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Mortui vivos docent – Die Toten lehren die Lebenden. So lautet ein alte lateinische Weisheit. Im Tod kommt zwar ein Leben an sein Ende. Aber das, was den Lebenden ausgemacht hat, geht nicht verloren. Die letzte Seite des Lebensbuches eines Menschen ist geschrieben, die ganze Erfahrung und Weisheit dieses Menschenlebens aber ist noch da. Sie kann fruchtbar für die werden, die in Dankbarkeit in diesem Buch blättern.
Die Bedeutung, die die Verstorbenen für die Hinterbliebenen haben, kann man auch an der Bestattungskultur sehen. Frühere Generationen haben viel in das Totengedenken investiert. Reich gestaltete Gräber zeugen von der Wertschätzung, die man den Verstorbenen und ihrer Lebenszeit entgegengebracht hat. Der Tod weiß viel vom Leben. Und die Gräber erzählen viel von denen, die sie beherbergen.
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oder: Gottes Liebe und des Menschen Freiheit
Wie oft wünschen wir uns gerade in den großen und kleinen Krisen und Katastrophen des Lebens, Gott möge doch helfend eingreifen und alles – möglichst sofort und in unserem Sinne – zum Guten wenden. Und wie oft wenden wir uns dann ob des scheinbaren Ausbleibens der göttlichen Rettungstat enttäuscht ab und klagen Gott an, wie er das alles denn überhaupt zulassen könne. Letztlich wünschen wir uns, Gott würde solange an den Stellschrauben des Lebens drehen, bis alles stimmt und bis das Leid aus der Welt fortgenommen ist.
Gott als großer Mechaniker und das Leben als Uhrwerk, bei dem alles nach Plan verläuft – ein verlockender, aber auch ein gefährlicher Gedanke. Denn ein solcher Gott könnte dem Menschen keine Freiheit zubilligen. Das Leben würde einem inneren Zwang folgen, der jeden freien Willen ausschlösse. Computer funktionieren so, nicht aber der Mensch. Der Kurzfilm „Spin“ von Jamin Winans spekuliert mit der Möglichkeit, Gott würde an den Stellschrauben des Lebens drehen und so das Schicksal der Menschen beeinflussen (sehen Sie hier den Film bei Youtube).
(veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von DoubleEdgeFilms)
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Es entspricht einer tiefen Sehnsucht, das Geheimnis des Todes zu ergründen. Egal ob gläubig oder ungläubig – niemand kann diesem Geheimnis entfliehen. Das Ende des Lebens bildet mit der Geburt nicht nur den Rahmen des irdischen Lebens. Als existentielle Wendepunkte kommt hier das, was der Mensch im Tiefsten ist, zum Ausdruck.
Man sagt, dass der Mensch in den letzten Momenten sein ganzes Leben noch einmal vor Augen haben wird. Der Kurzfilm „Last Day Dream“ (2009) von Chris Milk setzt das aus der Ich-Perspektive eines Menschen, dessen Leben in Bruchstücken an ihm vorbeizieht, in Szene: Bitterkeit und Schönheit, Versagen und Gelingen, Schuld und Größe des Lebens werden deutlich – in aller Endlichkeit (sehen Sie hier den Film auf Youtube).
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