Dies Domini – Sechster Sonntag der Osterzeit, Lesejahr A
Es sind nur noch wenige Tage, dann wird Jesus Christus endgültig verschwinden – zumindest wenn man der Dramaturgie der Osterzeit folgt, die sich an den Evangelien orientiert. An Christi Himmelfahrt wird der vom Kreuzestod Auferstandene letzte Worte zu den Seinen sprechen und dann vor ihren Augen in den Himmel auffahren. Dann vollzieht sich, was sich in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums schon andeutet. Im Evangelium vom sechsten Sonntag der Osterzeit im Lesejahr A wird Jesus wird Jesus mit Blick auf seinen Tod deutlich:
„Nur noch kurze Zeit und die Welt sieht mich nicht mehr.“ (Joh 14,19a)
Für die Seinen aber hat für diese Zeit der Trennung eine tröstende Verheißung:
„Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch.“ (Joh 14,18)
und:
„Ihr aber seht mich, weil ich lebe und auch ihr leben werdet.“ (Joh 14,19b)
So wird es geschehen an dem Tag, an dem die Jesu Auferstehung vom Kreuzestod offenbar wird. Mit dem Ostertag beginnt die letzte Phase des Lernens für die Jünger Jesu. Was sie im irdischen Leben Jesu, der als Mensch unter Menschen lebt, noch nicht zu erkennen vermögen, werden sie zunehmend verstehen. Solange sie die Erfahrung des Auferstandenen nicht haben, können sie nur aus ihrem gewöhnlichen Erfahrungsschatz des gesunden Menschenverstandes schöpfen. Und da heißt es: Mit dem Tod ist Schluss! Und: Gott ist im Himmel und nicht unter den Menschen! Deshalb haben sie sich nach Jesu Tod am Kreuz aus dem Staub gemacht. Ihre Erfahrung sagt ihnen, dass da nichts mehr zu holen ist – bis, ja bis am Ostermorgen alles anders war.
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Zurückgeblieben stehen sie da: Luftgucker, die das Loch im Himmel suchen, in dem sich das Problem, dass sie jetzt haben, auflöst. So erzählt es die Bibel von den Jüngern nach Christi Himmelfahrt. Zurück bleibt nur ein Auftrag: „Ihr werdet die Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde.“ (Apg 1,8) Nun sind sie allein unterwegs mit diesem Auftrag des Herrn – ein Auftrag, der keinen Raum für Kompromisse lässt. Nun gilt es zu lösen, was zu lösen ist, und zu binden, was zu binden ist. Dazwischen gibt es nichts, keinen Ort der Unangreifbarkeit, keinen Platz zwischen den Stühlen, bei dem man vermeiden könnte, sich festnageln zu lassen. Für Christen gilt besonders, dass nicht dicht ist, wer nach allen Seiten offen ist. Was glauben Sie denn?
Der Sohn des Zimmermanns aus Nazareth hat am Holz des Kreuzes in kompromissloser Konsequenz sein Meistersstück gezeigt. Nach Aussage der Schriften unterweist er als Auferstandener seine Jünger, deren Lehrzeit mit Christi Himmelfahrt zu Ende geht. Der Meister spricht sie los, der Rabbi entlässt seine Schüler, die nun ihre Reife an der Wirklichkeit zeigen müssen. Sie sind keine Lämmer mehr, die schweigen können. Leithammel sollen sie nun sein, die selbst den Weg weisen, Zeugen mit Leib und Seele, handfeste Leute, die keine Löcher in die Luft schauen. Die Lehrzeit ist vorbei. Es ist jetzt an ihnen, die Fragen zu beantworten, die sich ihnen stellen. Aus unmündigen Kindern sollen sie nun selbst zu Erwachsenen werden, die zwischen Gut und Böse zu unterscheiden wissen, die lösen und binden, Halt und Wegweisung geben.
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Dies Domini – Zweiter Sonntag der Osterzeit (Weißer Sonntag), Lesejahr C
Theorien sind wie Häuser, deren Standfestigkeit im Kopf des Theoretikers unzweifelhaft ist. Unter den Laborbedingungen der intellektuellen Glasglocke ist alles erlaubt, solange es systemimmanent stimmig bleibt. Die meisten Theorien bestehen deshalb aus vereinfachenden Systematisierungen, die sich in powerpoint-affine Grafiken fassen lassen. Das ist meist unterkomplex, aber schön anzuschauen. Mit dem Anschein eines intellektuellen Gestus dargeboten, könnte man meinen, der Theoretiker habe den Schlüssel zur Wirklichkeit gefunden, die eine Formel, die die Lösung aller Problem in sich birgt.
Ob es sich bei einem theoretischen Entwurf um ein Luftschloss handelt oder einen soliden, lebenstauglichen Entwurf, das wird meist erst in der Praxis deutlich. Selbst faktenorientierte Ingenieure haben mittlerweile die kognitive Dissonanz zwischen Theorie und Praxis erkannt. Eines der bekannten Beispiele ist die 1940 erbaute Tacoma-Narrows-Brücke. Die Brücke im Staat Washington (USA) wies seinerzeit mit einer Spannweite von 853 Metern die drittgrößte Spannweite aller Hängebrücken weltweit auf. Sie zeichnete sich durch eine äußerst niedrige und schlanke Stahl-Vollwand-Konstruktion aus, wie sie auch an der Rodenkirchener Brücke in Köln zu finden ist. Die Statik sollte optisch leicht sein, den Berechnungen ihres Planers Leon S. Moisseiff zufolge aber auch größeren Windgeschwindigkeiten problemlos standhalten.
Bereits vier Monate nach ihrer Eröffnung zerbarst die Brücke. Sie hatte den ersten Praxistest bei aufkommendem Starkwind nicht überstanden. Der Wind hatte die Eigenfrequenz der Brücke angeregt. Die gesamte Konstruktion geriet in eine selbsterregte und sich selbst verstärkende Schwingung, die dazu führte, dass sich die Fahrbahn in sich selbst verwand. Schließlich zerbrach die Konstruktion.
In der Theorie war die Tacoma-Narrows-Brücke von 1940 ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, erdacht und errechnet am Schreibtisch. In der Praxis aber traten Einflüsse zutage, die der Ingenieur nicht mit bedachte hatte. Die Realität ist komplexer als es die meisten Theorien vorsehen.
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